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Ein Leben unter Toten

Ein Leben unter Toten

Titel: Ein Leben unter Toten
Autoren: Jason Dark
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Der Brief kam mit der normalen Post. Als Sarah Goldwyn den Absender las, flüsterte sie freudig erregt: »Diana Coleman, das darf doch nicht wahr sein!« Sie hatte gar nicht gewußt, daß Diana noch lebte. Als Absender war eine Adresse in Cornwall angegeben. Diana wohnte also nicht mehr in London. »House of Silence«, murmelte sie, »seltsam, dieser Name. Haus der Ruhe. Kann ich mir nichts darunter vorstellen.«
    Sogar ihre Finger zitterten, als sie den Umschlag öffnete, den Brief hervornahm und einige Schritte zur Seite ging um in einem Sessel Platz zu nehmen.
    Sarah Goldwyn atmete tief ein, räusperte sich, faltete den Brief auseinander, setzte ihre Brille auf und begann zu lesen.
    Meine liebe Sarah,
    ich weiß, daß Du Dich nun wundern wirst, wenn Du diesen Brief in den Händen hältst, aber es ist meine Schuld, daß ich so lange nichts habe von mir hören lassen. Ich wohne auch nicht mehr in London, sondern möchte den Rest meines Lebens in einem Altenheim verbringen, das wegen seiner guten Pflege einen ausgezeichneten Ruf hat. Dieses Heim ist wirklich einzigartig, und ich möchte, daß Du mich einmal besuchst. Wir haben am zweiten Juli dieses Jahres ein Sommerfest geplant. Es sind nur ältere Menschen dort, und wie ich hörte, sollen die Sommerfeste immer ein sehr großer Erfolg gewesen sein. Da es uns erlaubt worden ist, ältere Freunde und Bekannte einzuladen, habe ich natürlich an Dich gedacht, denn wir haben einige Jahre zusammen verbracht, bis uns das Schicksal trennte. Ihm kann niemand entkommen, das merke ich auch hier. Das Haus der Ruhe hat seinen Namen wirklich verdient. Hier ist es ruhig, aber das muß wohl so sein, wo Alter, Tod und Friedhof nahe zusammenliegen. Wer tot ist, kann nicht mehr leben, heißt es. Ich würde gern Deine Meinung darüber hören, meine liebe Sarah. Kommst Du zu dem Fest? Ich würde mich freuen. Da Dich mein Brief wahrscheinlich ziemlich spät erreichen wird, warte ich eine schriftliche Antwort gar nicht erst ah. Ich würde mich wahnsinnig freuen, Dich bei mir begrüßen zu dürfen.
    Mit allerliebsten Grüßen
    Deine Diana
    Ohne daß sie es merkte, sanken Lady Sarahs Hände nach unten. Ihr Gesicht hatte einen starren Ausdruck angenommen, denn dieser Brief war ihr auf eine seltsame Weise aufgestoßen. So kannte sie Diana nicht. Die Zeilen schienen in einer Depressions-Phase geschrieben worden zu sein, denn ihnen war nichts Lustiges zu entnehmen. Das Gegenteil war der Fall. Verschlüsselte Warnungen, für eine Einladung seltsame Ausdrücke wie Ruhe, Tod und Friedhof.
    Und dann das Kreuz!
    Es war mit schwarzer Tusche gemalt worden und befand sich direkt unter der Unterschrift.
    Sollte es ein Hinweis sein, eine Warnung vielleicht? Lady Sarah hob die Schultern. Sie wußte es nicht. Allerdings las sie den Brief zweimal, später noch ein drittes Mal. Danach war sie fest davon überzeugt, daß etwas nicht stimmte. Ihre Freundin hatte nicht darüber geschrieben, daß man auch anrufen konnte, um sein Kommen mündlich mitzuteilen, was bei der Kürze der Zeit völlig normal gewesen wäre. Nein, da stimmte etwas nicht.
    Lady Sarah wurde nicht umsonst die Horror-Oma genannt. Obwohl sie bereits 70 Lenze zählte, war sie noch immer sehr rüstig. Da glich sie schon einem alten Indianerhäuptling, den auch nichts so leicht erschüttern konnte. Sie beschäftigte sich mit den Dingen, vor denen die normalen Menschen Horror oder zumindest Furcht hatten. Sarah Goldwyn interessierte sich für alles, was mit unerklärlichen Dingen oder Okkultem in irgendeinem Zusammenhang stand. Da war sie Spezialistin, und nicht umsonst gehörte ihr Archiv an Grusel-Literatur zu den größten der Stadt.
    Das gleiche galt für Gruselfilme. Das Dachgeschoß hatte sie ausgebaut und sich eine kleine Videothek eingerichtet. Alles, was an neuen Filmen auf den Markt geworfen wurde, besorgte sie sich, auch wenn sie die Streifen schon im Kino gesehen hatte.
    Sie war dreifache Witwe, und da ihre Männer alle nicht unvermögend gewesen waren, konnte sie sich teure Hobbys leisten. Sie hatte ihr Geld so angelegt, daß sie von den Zinsen gut leben konnte. Monatlich überwies sie davon einen erklecklichen Betrag an eine Stiftung, die ihren Namen trug und sich um das Elend in der Welt kümmerte. Sie war auch schon in gefährliche Fälle hineingeraten. Nicht zuletzt »verdankte« sie dies auch ihrer Bekanntschaft mit dem Geisterjäger John Sinclair, den sie liebevoll »mein Junge« nannte. In letzter Zeit hatte sie sich allerdings
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