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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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wir geschlafen. Aber du kannst nicht die Kälte spüren. Du hörst nicht das Zischen und Tropfen der undichten Rohre. So etwas kann ein Bild nicht vermitteln.« Er setzte sich vor die Staffelei und fuhr behutsam mit den Fingern über die Kindergesichter auf dem Bild.
    »Das ist es, was Weiße sehen wollen. Nicht glückliche Schwarze in tollen Autos.«
    »Du musst doch wohl malen dürfen, was du willst!«
    »Nein, so ist es nicht. Zur Zeit jedenfalls nicht. Was ich jetzt male, ist das Leid meines Volkes. Verstehst du, ich muss so tun, als ob sich für uns nie etwas ändern wird.«
    Bei diesen Worten hatte ich das Gefühl, als sei mir Julian direkt in die Seele gekrochen. So tun als ob – das warmir zur zweiten Natur geworden. Niemand in der Schule konnte ahnen, dass ich eine Menge Zeit damit verbrachte, den Schein aufrechtzuerhalten, ich sei wie alle anderen und mein Leben in jeder Hinsicht normal und alltäglich. Man würde mir aus dem Weg gehen und mich aus der Gemeinschaft ausschließen, wenn meine Mitschüler herausfänden, dass Schwarze für mich Menschen waren, mit denen ich jederzeit sprach – nicht nur dann, wenn ich mehr Kartoffelbrei oder eine Limonade haben wollte. In Wahrheit gehörten meine Eltern zu den ganz wenigen Weißen in Südafrika, die keine schwarzen Bediensteten hatten, die auf unserem Grundstück wohnten und unsere alltäglichen Bedürfnisse befriedigten. Man musste nicht reich sein, um eine schwarze Kinderfrau zu beschäftigen, die sechs Tage in der Woche bis in die Nächte hinein arbeitete und schließlich in ihrer kleinen, schlecht beleuchteten Kammer erschöpft ins Bett sank. Mit dreißig Rand im Monat und den Mahlzeiten erkaufte man sich ihre Loyalität. Meine Eltern hielten nichts davon, Bedienstete zu haben. An unserem Tisch saßen Schwarze als Gäste, sie aßen mit uns gemeinsam, und nach dem Essen räumten Mutter und ich ihre Teller ab.
    Um sicherzugehen, dass ich nach außen hin als »normal« galt, lernte ich viel für die Schule und bekam daher gute Noten. Ich war einer der Vertrauensschüler, hatte viele Freunde und eine ganze Schublade mit Auszeichnungen, die ich als Siegerin in Leichtathletik-Wettbewerben gewonnen hatte. Aber die schmachvolle Wahrheit war, dass ich, Ruby Winters, mich als Betrügerin fühlte, und es war nur eine Frage der Zeit, bis man mir auf die Schliche kommen würde.

2
    VOM Kamm des Westcliff-Höhenrückens waren es ungefähr drei Kilometer bis zur Schule, die in dem von Bäumen gesäumten Vorort Saxonwold lag. Wie die meisten Privatschulen in Johannesburg war sie von weitläufigen Anlagen umgeben, das Rugby-Feld einwandfrei gepflegt, der Swimmingpool, aus dem täglich das gefallene Laub entfernt wurde, kristallklar. Nur die Sprösslinge der wohlhabendsten und angesehensten Familien der Umgebung besuchten die Barnard-Highschool. Sozusagen die Goldkinder der Goldstadt, wie Johannesburg manchmal genannt wurde. Die Schule, die früher Theason-Highschool geheißen hatte, war vor Kurzem umbenannt worden zu Ehren des berühmten Herzchirurgen Christiaan Barnard aus Kapstadt, der weltweit die erste Transplantation am offenen Herzen vorgenommen hatte. Es gefiel mir, dass unsere Schule jetzt nach jemandem hieß, der etwas von der Funktion des Herzens verstand.
    Wenn es das Wetter erlaubte, fuhr ich meistens mit dem Rad zur Schule. Turnschuhe an den Füßen, den Rock meiner Schuluniform straff unter die Oberschenkel geklemmt, damit er nicht etwa auffliegen und mich in Verlegenheit bringen konnte. Mein langes dunkles Haar band ich fest zu einem Pferdeschwanz zusammen, den ich sofort löste, sobald ich auf dem Schulgelände vom Fahrrad sprang. Ich fuhr durch breite Alleen, bog um Kurven und Straßenkrümmungen und genoss die morgendliche Stille um halb sieben – Schulbeginn war um sieben Uhr. Es waren diese Augenblicke des Tages, die ich fast so liebte wie die Zeit am Nachmittag mit Julian. Ich mochte es, wenn der frische Wind meine Gedanken frei machte und meinen Kopf leer pustete, bevor mathematische Formeln, Geschichtsdaten und Zitate aus der Literatur ihn für sich beanspruchen würden.
    So fuhr ich in dieser frühmorgendlichen Stunde den größten Teil der Strecke geruhsam dahin, erst beim letzten Anstieg, wo mein Atem schnell und stoßweise ging, wurde mir meine Einsamkeit angesichts des lärmenden, sprudelnden Lebens bewusst. Unter mir waberte das Stimmengewirr der Schüler in ihren graublauen Uniformen, die es jetzt eilig hatten, sich zwischen den wuchtigen
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