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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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großen Haus in Hyde Park als Wäscherin für Dr. und Mrs. Gordon.«
    Zwischen den Falten der warmen Wäschestücke waren Harolds Worte für ihn lebendig geworden. Seine rote Malkreide in der kleinen Hand, malte sich Harold seine Welt und ging in sie hinein. Ein Weg, ein Apfelbaum, eine ganze Stadt und die Häuser mit zahllosen Fenstern.
    »Harold hat sich seine eigene Wirklichkeit geschaffen, verstehst du? Er malte sie so schön und so angenehm, wie er wollte. Er zeichnete Dinge, die ein Problem in Nichts auflösen konnten, und – pffft – schon war kein Problem mehr da.«
    Ich nickte, obwohl mir nicht ganz klar war, was Julian meinte.
    »Verstehst du, Ruby, wenn mitten auf der Straße ein Felsbrocken läge, würde Harold mit seiner roten Kreide einfach eine Trittleiter zeichnen und über das Hindernis klettern.«
    Jetzt verstand ich.
    »Und an diesem Tag in Dr. Gordons großem Haus beschloss ich, mir einen Weg aus meiner Welt heraus zu malen. Ein besseres Leben für mein Volk zu malen, für meine Mutter mit ihren rauen Waschfrauenhänden und dem schmerzenden Rücken, der sie die ganze Nacht nicht schlafen ließ.«
    Julian war sieben, als er den Entschluss fasste, Künstler zu werden wie Harold mit seiner Kreide. Er zeichnete sich fort aus der Armut des schmutzigen Viertels Naledi und fort aus der Township Soweto. Zuerst zeichnete er schwarze Gesichter in glänzenden schicken Autos. Ein gut aussehender Vater am Steuer, die Kinder in ihren besten Kleidern. Alle lächelten. Auf einem anderen Bild ließ er einen dieser Wagen sogar vor einem zweistöckigen, auf sanft ansteigender Rasenfläche errichteten Haus parken, und darüber schrieb er: »Dieses Haus gehört der Familie Mambasa.«
    »Als aber meine Mutter diese Bilder fand, die ich stolz an die Wand in unserer Hütte geklebt hatte, riss sie sie herunter und zerfetzte sie in hundert Stücke. Dann schlug sie mich mit einem langen harten Besenstiel und schrie, dass ich nie nie wieder so schreckliche Sachen malen dürfe.«
    »Warum hat sich deine Mutter so aufgeregt? Das verstehe ich nicht«, sagte ich erschrocken. Wie konnte seine Mutter ihn derart bestrafen, nur weil er gezeichnet hatte?
    Julian legte seinen Skizzenblock weg und kam zu mir. Ich war auf Strümpfen knapp einen Meter sechzig groß, Julian dagegen ein Riese von eins neunzig. Seine großen breiten Hände bewegten sich elegant wie Adlerschwingen, wenn er gestenreich etwas erklären wollte.
    »Ich auch nicht, Ruby, ich auch nicht. Damals habe ich es nicht verstanden, aber dann, als ich mich ausgeweint hatte, rieb mir Mama mit einem warmen Tuch die schmerzenden Beine ab und machte mir klar, dass wir – Hai! – verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden könnten, wenn wir solche Bilder in unserer Hütte hätten. Schwarze wie uns so zu zeichnen, als lebten wir wie Weiße, sei unrecht und verboten.«
    Julian vergrub die Hände in den Taschen seines farbbeschmierten Overalls. Ehe er weitersprach, sah er mich eindringlich an. Er roch nach abgewetztem Leder und süßlichem Moschus.
    »Ich habe nie wieder solche Bilder gezeichnet, doch wann immer ich konnte, habe ich Skizzen angefertigt und später danach gemalt. Als meine Lehrer an der Orlando Secondary School sahen, dass ich Talent hatte, beschafften sie mir eine alte Staffelei und ein paar gebrauchte Ölfarben. Meine Mutter war stolz, als ich mit vierzehn den Preis als hoffnungsvollster Nachwuchskünstler bekam, trotzdem achtete sie immer darauf, dass ich nichts malte, was unsere Familie hätte in Schwierigkeiten bringen können.«
    Julian wandte sich um und betrachtete eine großformatige Kohlezeichnung, mit der er erst vor wenigen Tagen fertig geworden war und die noch auf einer Staffelei stand.
    »Du bist ein Einzelkind, Ruby, aber wir, wir lebten zu sechst in zwei Räumen, eigentlich zu siebt, aber mein Vater, der in den Minen gearbeitet hat, kam abends immer erst spät nach Hause und musste morgens ganz früh wieder weg.« Julian seufzte leise. »Es war, als existierte er gar nicht.«
    Die Zeichnung zeigte ein eisernes Bettgestell, etwas erhöht auf Ziegelsteinen stehend, ein Einzelbett nur, aber irgendwie war es Julian gelungen, fünf Paar große, traurig blickende Augenpaare samt der dazugehörigen fünf langen schlaksigen Körper sich dicht an dicht auf der schmalen Matratze drängen zu lassen, Arme und Füße übereinander, die dürren Beine über den Rand hängend.
    »Sind das deine …«
    »Ja. Meine Geschwister und ich«, sagte er. »So haben
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