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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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Kalb mit Menschenkopf, ergäb das nicht
    Ein Monstrum, auch mit herrlichstem Gesicht?
    Vollkommenheit ist Einheit. Anvisier
    Erst eine Frau und dann ein Ding an ihr
.
    Ihr Lachen lockte auch meines aus mir heraus, als bewahrten wir ein altes Geheimnis. Ich konnte Teile des Titels in abgesplitterten Silberlettern auf dem gebrochenen Rücken des Buches erkennen, das sie in der Hand hielt, aber die Worte sagten mir nichts; entscheidend war der Klang ihrer Stimme. Dann umschloss sie mich, schob ihre freie Hand um meine Taille. Wir lagen, auf die Ellbogen gestützt, auf der unordentlichen Decke ihres niedrigen Betts. Ihre Finger fuhren an den Zeilen entlang, während sie vorlas.
    Die schwellenden Lippen; angekommen dort
,
    Gehn wir vor Anker wie im Heimatport
.
    Hier glaubt man sich am Ziel: Sirenenchor
    Und delphische Orakel füll’n das Ohr;
    Voll auserles’ner Perlen eine Bucht
    Wo sich der Saugfisch, ihre Zunge, Beute sucht
.
    Goldglöckchen aus Lachen strömten aus ihr heraus; es schien auch dieses Lachen zu sein, nicht nur ihre Lippen, das mich dann küsste, nur kurz meinen Mundwinkel streifte. Unschuldig wie zwei kleine Mädchen im Garten Eden, so ließ sie es erscheinen, so flüchtig, dass ich mich gefragt hätte, ob es überhaupt passiert war, wäre da nicht das Prickeln gewesen, das zurückblieb und immer tiefer sank.
    »Aber pass auf – das ist die Stelle, die du meinst.« Laurel umfasste meinen Nacken, um sie mir zu zeigen, und als sie die Zeilen las, klang ihre Stimme heiser.
    Zwei Börsen hat Natur der Frau beschert
,
    Doch deren Münder liegen abgekehrt
,
    Und wer der untern schuldet sein Tribut
    Muss den Weg nehmen, den sie weisen tut
.
    Ich verstand davon gerade so viel wie nötig. Genug, um uns in Gang zu bringen. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit einer Frau zusammen war, aber …
    Ihr Salzgeschmack war ganz besonders, ich habe ihn bis heute nicht vergessen. Als hätte ich irgendeinen Mineralmangel und könnte nicht genug davon bekommen. Hinter meinen geschlossenen Augen erschien das Bild eines roten Lecksteins für die Kühe auf der anderen Straßenseite bei mir zu Hause, und einmal war ich als kleines Mädchen unter dem Zaun hindurchgekrochen, um selbst daran zu lecken. Meine Mutter versohlte mir den Hintern, als ich erwischt wurde, weil es
unhygienisch
(klatsch!),
widerlich
(klatsch!),
schmutzig
(klatsch!) war, und ich wünschte fast, sie könnte mich jetzt mit Laurel sehen, die kurz davor war, sich aus ihrem Körper zu winden, weil ich ihr so viel Lust verschaffte, mit dem gleichen roten Salzgeschmack auf der Zunge, ihre Haut ein Gesprenkel von Zimtbraun auf weißer Gischt und ihr Lachen ein Klang, der zu einem entfesselten Schrei anschwoll.

17
    Und dann wurde Corey eines Nachts dabei erwischt, wie er einen auf Backenhörnchen machte. Das Auge am Himmel bekam mit, dass er sich die Wangen vollstopfte, bis es aussah, als hätte er Mumps. Corey war ein bisschen zu gierig geworden. Und das System will alle seine Silberlinge behalten. Es zählt sie jeden Tag.
    »Dein Land befindet sich in einer Krise«, erklärte Marvin, der Saalchef. »Wir alle sind angegriffen worden. Und du
klaust

    Wir alle, die wir diesen Spruch mitbekamen, taten unser Bestes, um ernst und bekümmert auszusehen, obwohl wir am liebsten losgeprustet hätten – oder gekotzt. Ich hatte das Gefühl, dass mir all die kleinen schwarzen Halbkugeln in der Zimmerdecke fest in den Nacken drückten. Als wäre es ein Verrat an Gott und der Fahne und an Apple Pie, wenn man mal ein paar Chips mitgehen ließ.
    Nicht, dass ich wegen Corey groß Tränen vergossen hätte. Er hatte ein Oxycontin zu viel eingeworfen, sonst wäre er nicht so unachtsam gewesen. Ich glaube nicht, dass ihn jemand verpfiffen hatte. Das Auge am Himmel hatte ihn einfach nur registriert – ein kleines Eichhörnchen mit einer zu fetten Nuss. Corey war ziemlich groß, gebeugt und hager. Er hatte rötliches Haar und empfindliche Haut, die sich schnell verfärbte. Seine Ohren waren irgendwie spitz und dünn wie Pergament. Er war dunkelrot angelaufen, als Marvin mit ihm fertig war. Zum Glück brauchte er dafür nicht allzu lang, aber meine Fingernägel hatten Furchen in die Handballen gegraben, als er schließlich aufhörte. Dabei hatte ich sie extrem kurz geschnitten.
    An dem Abend war aus irgendeinem Grund mehr los als sonst. Nachdem Corey seinen Kram zusammengepackt hatte und gegangen war, holten sie Tammy, damit sie seinen Tisch übernahm. Sie war froh, von der
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