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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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worden war. Im Falz eines Doppelalbums fand ich ein paar dreißig Jahre alte Pot-Samen.
    Klar, es war auch alles auf CD erschienen, kaum dass die Dinger erfunden worden waren. Man könnte, ich könnte sie auch auf iPods laden oder was auch immer.
    Ich versuchte nicht, mir die Platten anzuhören, zumal ich keinen Plattenspieler mehr hatte. Aber ich ließ eine aus der Hülle gleiten, zusammen mit einem Wölkchen puderiger Zigarettenasche, und betrachtete die ölschwarze Oberfläche. Ein heller geschwungener Kratzer durchzog die Rillen der ersten drei Stücke.
    Als ich die Platte zurück in die Hülle schob, blieb mein Blick an etwas hängen, das ich schon tausend Mal beiläufig wahrgenommen hatte. Auf der Vorderseite waren Schnappschüsse von der Aufnahmesession abgedruckt, scheinbar zufällig angeordnet, als wären sie auf den Boden gefallen. Einer zeigte O. in der Blüte seiner Jugend, wie er lächelnd eine Akustikgitarre auf einem Knie balanciert und mit lebhaftem Interesse auf etwas rechts außerhalb des Bildes blickt.
    Das Detail, das ich zuvor nicht bewusst registriert hatte, war ein Fuß in der unteren rechten Ecke des Schnappschusses. Ein hübsch geformter junger Fuß mit einem anmutig geschwungenen Spann, der Nagellack so dunkelrot, dass er schon fast schwarz war, ein goldfarbener Zehenring und eines von diesen Mustern, die Laurel sich damals mit Henna wie Kraut und Rüben überall auf die Haut malte.
    Ja, da war eine Frau ihrer Zeit voraus. Ich kann mir gar nicht erklären, wieso mir das vorher nie aufgefallen war.
    Über die Musik von Orpheus lässt sich sagen, dass sie Balsam für jedermanns Wunden war. Wenn du sie hörtest, begannen deine zerschmetterten Knochen, sich wieder zusammenzufügen. Alle wandten sich ihr zu, wie Gras sich der Sonne zuwendet.

12
    Natürlich sind manchmal außer mir noch andere in der Wüste. Die meiste Zeit gehe ich ihnen aus dem Weg, was ebenfalls natürlich ist. So sterblich wie sie sind.
    Einmal stand ich bei Sonnenuntergang in dem länger werdenden, keulenförmigen Schatten eines Joshua Trees und beobachtete ein Quad, das aus östlicher Richtung auf mich zugefahren kam. Eine Staubfahne stieg von den Hinterrädern auf, und das würgende Dröhnen des Motors wurde lauter, lauter, lauter. Zwanzig Schritte von mir entfernt stoppte der Fahrer und glotzte wie ein frecher Käfer durch das getönte Visier seines Helms. Ich hob das Gewehr und schoss erst den dicken Vorderreifen platt, dann den hinteren auf der mir zugewandten Seite.
    Prompt ging der Motor aus, vielleicht stellte der Typ ihn auch ab. Die Stille war wie ein Schlag ins Gesicht, während das Echo der beiden Schüsse verklang und das Zischgeräusch der entweichenden Luft lauter wurde. Dann musste er ziemlich flott aus dem Sattel springen, bevor die kippende Maschine ihm ein Bein einklemmte.
    Er riss den Helm herunter und schmiss ihn auf die Erde. »Warum hast du das gemacht?« rief er.
    Eine sinnlose Frage, wie immer. Ich wusste die Antwort nicht genau.
    »Dein Fahrzeug gefällt mir nicht«, antwortete ich schließlich, und das war die Wahrheit, immerhin.
    Er machte einen Schritt auf mich zu und bewegte die Hand zu seiner rechten Hüfte. Ich hob das Gewehr und rammte den Repetierhebel vor und zurück, um die letzte verschossene Patrone auszuwerfen, eine heiße Messinghülse, die auf dem weißen Sand liegen blieb.
    »Runter«, sagte ich. »In die übliche Position.«
    Er wusste, was ich meinte, was wohl hieß, dass er dieses Spiel kannte.
    Er legte sich gehorsam auf den Bauch, Arme und Beine gespreizt, die Wange auf den Wüstenboden gedrückt. Ich stellte mich so, dass er mich nicht mehr sehen konnte. Es kam mir merkwürdig vor, dass er mit seinem Quad allein unterwegs war; normalerweise treten die nur paar- oder rudelweise auf. Er trug Jeans und ein kariertes Hemd, Motorradstiefel mit Riemen und Metallringen, dazu eins von diesen Biker-Portemonnaies, das mit einer verchromten Kette an seinem Gürtel befestigt war. Feiner Sand puderte seinen Schnurrbart wie zuckriger weißer Raureif.
    Ich hielt das Gewehr auf ihn gerichtet, während ich zurückwich … immer weiter und weiter. Ich zielte noch immer auf die Stelle, wo er lag, als ich sie schon nicht mehr richtig sehen konnte, als sogar das klotzige Quad auf die Größe eines Kiesels am blutunterlaufenen Horizont geschrumpft war.
    Federwolken trieben über den roten Abendhimmel. Ich denke mal, wenn er nicht wieder aus der Wüste rausgekommen wäre, hätte ich das aus den
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