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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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Nachrichten erfahren. Falls ich mir die Nachrichten anschaute, was ich selten tue. Aber ich schätze, er wird zu Fuß zurückgegangen sein. Genau wie ich.

13
    Ich war stundenlang, tagelang durch die Wüste gegangen, tief in der Mojave, weit weg von zu Hause, auf einem Abschnitt des Old Spanish Trail. So lange, dass ich keinen Durst mehr verspürte, keinen Sonnenbrand, keine Müdigkeit. Das machte mir klar, dass ich wohl träumte, und mir war, als würde ich von dem Indianer mit dem runden schwarzen Hut träumen, den ich gar nicht so lange zuvor im Kasino gesehen hatte.
    Am leeren Himmel über mir schrie ein Habicht. Er kreiste, machte Anstalten herabzustoßen, tat es aber nicht. Sein Flugkreis weitete sich. Es gab keine Beute. Der schwarze Habichtschatten segelte vor meinen Schritten davon über den bleichen, glatten Sand.
    Der Indianer wartete in tiefer Hocke vor einer Lehmhütte, die dieselbe Farbe hatte wie die Wüste um sie herum. Als ich näher kam, sah ich jedoch, dass es gar nicht der Indianer war, sondern ein sehr viel älterer Mann, ein Spanier. Ich erkannte, dass ich den runden schwarzen Hut des Indianers aus einem blöden, dreißig Jahre alten Film hatte, und ärgerte mich über die Armseligkeit meiner Fantasie.
    Aber ich hatte den Indianer ja gar nicht geträumt. Er war real. Stattdessen sah ich diesen uralten Spanier im Traum. Verwirrt wartete ich ab. Anscheinend war die Tochter des Alten vor ewig langer Zeit mit Gypsy Davy durchgebrannt. Ich konnte nicht sagen, ob er bekümmert, gleichgültig oder sonst was war.
    Warum?
fragte ich, und er erwiderte:
Sie wollte herausfinden, was hinter dem Berg war
.
    Diese Antwort war völlig absurd. Es gab keinen Berg. Am Horizont hoben sich kaum merklich die roten Sägezähne einer Gebirgskette ab. Vier Tagesmärsche oder zwei Tagesritte entfernt.
    Was war da?
    Nichts
, erwiderte er. Es kam mir so vor, als wäre das Wort
nichts
in seiner Sprache dasselbe wie
Tod
.
    Als ich erwachte, wollte ich weinen, konnte aber nicht. Jeder Tropfen Wasser war aus meinen Zellen gequetscht worden, und ich fühlte mich ausgedörrt, als wäre ich wirklich tagelang zu Fuß in der Wüste unterwegs gewesen, ohne zu trinken.

14
    Eine Frau hat zwei Börsen
. Das ist von Shakespeare, dachte ich mal. Aber als ich D. fand, hatte ich bloß eine.

15
    La Brea Tar Pits. Ich hätte nicht genau sagen können, wie ich dorthin gekommen war. Ob ich einen Bus die Küste runter genommen hatte oder vielleicht in einem Privatwagen mitgefahren war, im Austausch für persönliche Dienstleistungen. Ich saß in einem halben Lotossitz auf dem Betonrand eines schwarzen Erdlochs. Zuerst schien die ölige Oberfläche so tiefschwarz zu sein wie luftleerer Raum, aber je länger ich darauf starrte, desto mehr begann ich, in ihrem Schillern ein Spektrum zu entdecken, als würden sich Morgenlichtranken aus der Farbe der Nacht lösen. Der Teertümpel nahm mein ganzes Blickfeld ein, und eine ganze Zeit lang hatte ich keinerlei Gedanken. Nichts anderes erreichte meine Sinne, obwohl jenseits des Zauns, der die Grube umgab, Kipplaster und Presslufthämmer und Kräne waren, infernalische Maschinen, die einen Höllenradau veranstalteten.
    Ich spürte D.s Blick auf mir, lange bevor ich aufsah. Mittlerweile hatte ich dafür ein Gespür entwickelt. Auf dem Weg hierher hatte ich ziemlich lang Zwischenstation in Denver gemacht, und die letzte Zeit war ich oben in Tenderloin gewesen und hatte für
Knete gebumst
. Oder war
gebumst
worden. Für
Knete
. Die Ausdrücke wirken heute fast niedlich, aber damals waren sie flippig, wild – zu der Zeit, als es stinknormal schien, wenn Dad den Rasenmäher durch den sumpfigen Garten schob, eine kalte Pfeife zwischen seine militärisch kantigen Kiefer geklemmt.
    Ich konnte spüren, dass D.s Blick mich streichelte, zumindest das, was von mir zu sehen war, kitzelnd und rau zugleich, wie eine Katzenzunge. Meine ungewaschenen Haare waren so lang, dass sie bis auf den Beton neben meinen Oberschenkeln fielen. Ich trug ein Batikshirt, das knapp meinen Hintern bedeckte, wenn ich stand, mehr nicht. Ich hatte nichts drunter und bloß einen Fetzen Makramee um die Hüften gebunden, um die Illusion zu bekräftigen, dass das T-Shirt ein Kleid war. Meine nackten Füße waren voller Schwielen, verdreckt, die Fersen rissig. Könnte sein, dass ich ein ausgelatschtes Paar knöchelhoher Turnschuhe in meinem Beutel hatte, und was noch? Eine halbe Banane, ein Glas Weizenkeime, wer weiß. Das Bajonett hatte ich
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