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Die schottische Braut

Die schottische Braut

Titel: Die schottische Braut
Autoren: Deborah Hale
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1. KAPITEL
    “Wo sie wohl bleiben? Sie müssten längst hier sein.” Zum zehnten Mal wohl schaute Jenny Lennox am Kai des kleinen Hafens von Kirkcudbright um sich. Ängstlich ließ sie den Blick erneut die gepflasterte Straße entlangwandern auf der Suche nach ihren Reisegefährten.
    “Ich hätte es wissen sollen”, versuchte Jenny, sich zu beruhigen. “Mr Walker hält nichts davon, zu früh zu kommen, und auch seine Frau gehört nicht zu den Flinksten.”
    Vielmehr hatten die beiden in Dalbeattie den Spitznamen “die Schnecken”. Doch hätten sie nicht wenigstens an diesem wichtigen Tag rechtzeitig erscheinen können?
    “Sie werden gleich auftauchen”, sagte sie voller Überzeugung. “Die Flut steigt schnell. Wir müssen bald an Bord gehen.”
    Das salzige Wasser des Atlantiks strömte in die Mündung des Nith und bedeckte dessen schlammige Ufer in Kirkcudbright. Noch vor einhundertfünfzig Jahren hatte man junge Frauen, die nicht älter waren als Jenny, an Pfähle gebunden und ihres falschen Glaubens wegen in den Fluten ertränkt. Bis heute erinnerten die Schreie der Möwen an das Martyrium dieser armen Seelen. Die schrillen Laute der Vögel am hellen Junihimmel mischten sich mit dem dumpfen Gurgeln der See zu einem Trauerkonzert.
    Nicht ich
. Jenny starrte gedankenverloren auf eine Segelspier von einem der Schiffe, die im Kanal ankerten, die ans Ufer gespült wurde.
Ich werde keine Martern erdulden – eingesperrt in ein ärmliches Gehöft und langsam niedergedrückt von den Mühen und Plagen des Lebens.
    Von dem Augenblick an, als sie einen Besen halten konnte, hatte Jenny ein arbeitsreiches Leben geführt. Seite an Seite mit ihrer Mutter hatte sie gekocht, geputzt, gesponnen, gebuttert, gewaschen und geflickt. Sie hatte die stetig wachsende Schar ihrer Brüder beaufsichtigt, die ihre Eltern in dem schmalen Bett gezeugt hatten. Seit dem Tod ihrer Mutter lag die ganze Last der Verantwortung auf Jennys schmalen Schultern. Heute war ihre einzige Chance, dem zu entfliehen.
    Mit den Schaluppen wurde bereits die Fracht zur Bark
St. Bride
hinübergebracht. Der Kapitän würde die Anker lichten, sobald die Ebbe einsetzte. Das wären höchstens noch zwei Stunden. Und dann wollte Jenny den Kolonien von New Brunswick und einem besseren Leben entgegensegeln. Wenn sich die Walkers doch nur beeilen und endlich auftauchen würden!
    Sie spähte erneut die Straße entlang. Wo blieben sie nur? Jennys Magen krampfte sich zusammen, als müsste sie die schreckliche Hafergrütze ihrer Stiefmutter verzehren. Viele Stunden waren vergangen, seit sie eine Schüssel davon hinuntergewürgt und tränenreich von ihren Brüdern Abschied genommen hatte. Die älteren hatten ihre Traurigkeit hinter schroffem Benehmen verborgen, sie streng ermahnt, sich während der Überfahrt nicht zu weit über die Reling zu beugen, damit sie nicht ins Meer falle, und verlangt, ihnen oft zu schreiben – ohne daran zu denken, dass sie es gar nicht konnte.
    Der kleine Malcolm hatte sich an ihren Rock geklammert und aus Leibeskräften gebrüllt, als wollte er Tote aufwecken, bis er von ihrer Stiefmutter derb ins Innere der Hütte geschoben worden war. Hätte sie doch wenigstens ihn mitnehmen können, den Jungen, für den sie seit dem Tod der Mutter wie für ihr eigenes Kind gesorgt hatte. Jenny sank auf ihre eisenbeschlagene Kiste und presste die Lippen zusammen. Sie hatte Angst, sie könnte anfangen zu weinen und dem Vater zureden, sie doch wieder nach Hause mitzunehmen, wenn die Walkers nicht bald kämen.
    Mit Tränen in den Augen erspähte Jenny eine wohlbekannte Gestalt in der Menschenmenge. Es war nicht Mag Walker, die große, unförmige Frau, die das Gewicht ihres Mannes noch um einen halben Zentner überbot, sondern ein schlankes Mädchen, das einen hübschen Hut und gut sitzende Reisekleidung trug.
    “Kirstie!”, rief Jenny ihrer Freundin zu, als diese sich durch das Gewühl zu ihr drängte. “Oh, wie ich mich freue, dich zu sehen. Sag bloß, du bist den ganzen weiten Weg von Dalbeattie hierhergekommen, um dich von mir zu verabschieden.”
    Kirsten Robertson war seit Jennys harter, arbeitsreicher Jugend ihre engste Freundin. Obwohl ihr wohlhabender Vater Besitzer der Granitbrüche von Dalbeattie war, gehörte Kirstie nicht zu den Leuten, die sich vornehm gaben. Vor vielen Jahren einmal hatte die Wirtschafterin der Robertsons das Kind zu Jennys Mutter mitgenommen, von der sie bei ihren regelmäßigen Besuchen Eier gekauft hatte. Nachdem sich
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