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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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ganz sicher dabei, die Klinge in einer dicken Rolle Zeitungspapier versteckt. Das Griffstück sah ganz anders aus als ein Regenschirmgriff, das wurde mir klar, als D.s Augen darauf verweilten.
    In meinem Kielwasser trieb eine Leiche, meine allerersten sterblichen Gebeine. Das machte mir Sorgen, weil ich noch nicht erkannt hatte, dass kein Mensch den Wichser vermissen würde; wie absolut entbehrlich er war. D.s Blick begann wieder zu wandern, streifte meine Nippel unter der Baumwolle, fuhr unten am Saum des T-Shirts entlang, der gerade ausreichte, um meine Möse zu verbergen, und glitt dann herum zu meinem Rücken, um die Wirbelhöcker zu zählen. Und irgendwie war das Ganze anders als sonst. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich den Typ einfach bloß bumsen und dann wegschicken konnte, dabei war das mittlerweile mehr oder weniger meine Universallösung, ob ich dafür bezahlt wurde oder nicht.
Eine Frau hat zwei Börsen
. Dieser Blick war fast wie die prüfende Hand eines Arztes, hatte etwas Therapeutisches an sich. Einen kurzen, unangenehmen Moment lang musste ich an die Gutmenschen denken, denen ich manchmal unterwegs begegnet war, die mich wieder
in Ordnung bringen
und
nach Hause schicken
wollten. Aber ganz so war es auch wieder nicht. In D.s Blick lag noch immer ein Hauch von Begehren, er taxierte mich. Ich will damit sagen, dass ich das Gefühl hatte, bewertet zu werden, als wollte D. mich kennenlernen, herausfinden, was in mir steckte und was noch herauskommen könnte.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich nach seinem Spiegelbild in der Teergrube suchte, aber natürlich spiegelte sich nichts darin – darum ging es ja gerade. Ich konnte nicht mal seinen Schatten sehen. Vielleicht warf er keinen.
    »Da kommen wir alle her«, sagte D. »Oder gehen wir alle dahin?«
    Der Teer schien in paisleyartigen Mustern zu schillern. D.s Versuche als Sänger waren aussichtslos, aber seine Sprechstimme war voll und sonor und konnte fast jeden Schwachsinn klug erscheinen lassen, bis du anfingst, darüber nachzudenken.
    Da hob ich den Blick und sah ihn an. D. war ein bisschen zu klein geraten für seine Kleidung, und da war noch etwas Seltsames: Er war trotz der Hitze vollständig angezogen. Die Manschetten und der Kragen seines Westernhemdes waren mit Perlmuttdruckknöpfen eng um Handgelenke und Hals geschlossen, seine Jeans steckten in den hohen fransenbesetzten Mokassinboots. Er hatte dunkles, welliges Haar, das ihm genau bis auf die Schultern reichte und das er ständig nach hinten werfen musste, wie sie das alle so machten, es sei denn, sie gingen aufs Ganze und trugen ein Hippie-Stirnband. Der berühmte Van-Dyke-Bart verlief um den gierigen Mund. Seine Augen, eine Spur zu eng stehend, waren elektrisierend, kobaltblau.
    »Du siehst nach Schwierigkeiten aus«, sagte er und hielt mir die Hand hin. Ich lachte ihm nicht ins Gesicht.
Steckst du in Schwierigkeiten?
war der Standardspruch, um Ausreißer aufzugabeln, aber diese Variation hatte was. Als wäre nicht ich in Schwierigkeiten, sondern als steckten die Schwierigkeiten in mir.
    Warum nicht. Seine Hand war klein, nicht größer als meine, leicht schwielig und warm. Aber es waren die Augen, das bekenne ich noch immer, die mich im Innersten ansprachen. Zugegeben, ich war schwierig, und ich steckte in Schwierigkeiten. Aber auch wenn D. ein Auge für Schwäche hatte, so mochte er sie doch nur durchsetzt mit Stärke.
    Zuerst dachte ich, D.s Augen wären wie die meines Bruders. Mit der Zeit erkannte ich, dass das nicht stimmte. Alles – der Wein, der Rauch, die Trancezustände – gab dir nur zurück, was schon immer in dir gewesen war. D.s Augen waren die Spiegelung meiner eigenen.

16
    »Das ist von Shakespeare«, erklärte ich Laurel und wurde schon unsicher, ehe ich den Satz zu Ende gesprochen hatte. Das Zögern in ihren Augen verriet mir, dass ich irrte, dass meine vermutete Quelle falsch war und ich das Zitat nicht mal richtig verstanden hatte. Ich dachte damals, dass die eine Börse die für das Geld war, während die zweite zwischen den Beinen lag …
    Laurel war aufs College gegangen, aber es war nicht nur das; sie wusste so viel mehr als ich. Unversehens ließ sie sich auf die Knie fallen und fing an, in einer Milchkiste herumzukramen, die halb unter der Batikdecke versteckt gewesen war. Sie zog ein Buch heraus und fing sofort an, vorzulesen:
    Die Liebe ist ein neugeborner Bär
,
    Und wer sie leckt zu einer fremden Form
,
    Macht aus dem Klump ein Monstrum ganz enorm
.
    Ein
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