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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Wolfgang Burger
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»No«
und spitzbübischem Grinsen beantwortete, erntete er lautstarke Heiterkeit und
tosenden Beifall.
    Drinnen schien es inzwischen heiß geworden zu sein. Die vielen
Menschen, die Scheinwerfer … Die Dicke in der ersten Reihe litt jetzt
offensichtlich unter regelrechter Atemnot. Ihr Busen wogte, immer öfter wischte
sie sich die Stirn mit einem karierten Holzfällertaschentuch. Hoffentlich hielt
sie durch. Wieder huschte jemand zu ihr, dieses Mal jedoch nicht mit einem
Mikrofon, sondern mit einem Glas Wasser, das sie mit winzigen Schlucken leerte.
Dann lehnte sie sich aufatmend zurück. Der Jetlag, fehlender Schlaf,
ungewohntes Essen, das setzte auch Jüngeren zu.
    Wieder gab es Grund für Gelächter.
    Helena schien im Stehen eingeschlafen zu sein.
    Eine Journalistenfrage löste eine kurze, freundschaftliche Diskussion
am Podium aus. Henderson sah so auffällig unauffällig auf die Uhr, dass allen
im Raum klar wurde, die Veranstaltung würde wider Erwarten pünktlich zu Ende
gehen. Sein Kollege dagegen spielte auf Zeit. Seine Antworten wurden immer
länger und weitschweifiger. Die Damen und Herren im Publikum durchschauten
seine Taktik, versuchten ihn mit Zwischenrufen zu unterbrechen, die er
geschickt aufnahm, um seine Antworten noch ein wenig länger zu machen.
    Auch auf seiner Stirn perlte jetzt Schweiß, konnte ich auf dem
Monitor sehen, als sein Gesicht vorübergehend herangezoomt wurde. Selbst
Henderson hatte inzwischen einiges von seiner Strahlkraft eingebüßt. Dort
drinnen tobte ein Kampf. Hinter den leutseligen Fassaden der Politiker
verbargen sich glasharte Profis, die sich vor der Öffentlichkeit der Welt ein
Duell mit unsichtbaren Waffen lieferten.
    Jetzt war Henderson wieder an der Reihe. Noch einmal betonte er, und
dieses Mal mit tiefem Ernst und bebendem Pathos, dass zu einer Freundschaft, so
eng und ausdauernd wie die zwischen dem schönen und fleißigen Deutschland und
dem schönen und mächtigen Amerika, dass eine solche Freundschaft immer auf
Leistung und Gegenleistung beruhe. Dass auch die innigste Freundschaft einmal
in die Brüche gehen konnte, sagte er nicht, aber jeder im Raum dachte sich
diesen Teil dazu.
    Allmählich wurde die Journaille müde. Auch Helena fuhr sich immer
öfter mit der flachen Hand über die Stirn. Mein Handy surrte.
    Sönnchen: »Herr Gerlach, ich hab da was rausgefunden, was Sie …«
    Die Dicke in der ersten Reihe sackte unvermittelt in sich zusammen.
Jemand rief etwas, vermutlich ihr Adjutant, der ihr auch schon Luft zufächelte.
Aus den Lautsprechern drangen aufgeregte Stimmen.
    Â»Jetzt nicht«, sagte ich ins Handy und drückte das Gespräch weg.
    Eine Stimme aus dem Funk, auf Deutsch: »Sani! Reihe eins! Dringend!«
    Hinten flogen die Türen auf, sah ich auf dem Monitor, ein kleiner,
offenbar topfitter Notarzt stürzte herein, begleitet von einem älteren und
einem noch recht jungen Sanitäter, jeder mit einem großen Metallkoffer in der
Hand.
    Manche im Publikum sprangen auf, um zu sehen, was da vorne vor sich
ging.
    Mein Herz klopfte jetzt zum Zerspringen. Was da drin geschah, war
nicht geplant. Und alles, was nicht geplant war, war nicht gut. Ich konnte
keine Sekunde länger bleiben, wo ich war. Bevor ich einen klaren Gedanken
fassen konnte, war ich schon im Tagungsraum, mitten in der stickigen Hitze,
durch dieselbe Tür, die der Notarzt genommen hatte und die noch halb offen
stand.
    Die Retter waren inzwischen an Ort und Stelle angekommen, die
Patientin, die anscheinend hyperventilierte, lag schon auf dem weichen
Teppichboden, die Situation war unter Kontrolle. Das Publikum nahm nach und
nach wieder Platz. Die Minister auf dem Podium sahen halb amüsiert, halb erschrocken
zu. Koffer wurden aufgeklappt, der Arzt setzte mit schnellen und zugleich
gelassenen Bewegungen eine Spritze, gab seinen Helfern knappe, für mich nicht
hörbare Anweisungen.
    Inzwischen stand ich ein wenig atemlos vor der ersten Stuhlreihe und
wusste nicht mehr, wozu ich eigentlich gerannt war.
    Gerade wurde ein weiterer Koffer geöffnet, der ältere der beiden
Sanitäter richtete sich auf und hielt plötzlich eine Waffe in der Hand.
    Noch stand er mit dem Rücken zum Podium.
    Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.
    Dann machte er eine Drehung um hundertachtzig Grad, federte in die
Knie wie jemand, der im Schießen geübt ist.
    Der erste Schuss fiel, bevor ich
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