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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Wolfgang Burger
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eine der großen
Wirtschaftslokomotiven der Welt, bewunderte die deutschen Arbeitnehmer für
ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit. Dann wurde sein Strahlen ein wenig schwächer,
und er begann, genau diese Sparsamkeit infrage zu stellen. Amerikaner seien es
gewesen, die in der Vergangenheit mit ihrer Konsumfreudigkeit auf Pump die
Weltkonjunktur am Brummen gehalten hätten. Die USA seien es gewesen, die Jahr
für Jahr mehr importiert als exportiert und in China und, nun ja, ein klein
wenig auch in Deutschland Arbeitsplätze gesichert hätten.
    Henderson sprach langsam und ruhig, mit einer von tief innen
kommenden Selbstsicherheit und in einem Englisch, das auch ich problemlos verstand.
Aus diesen Gründen fand er es nur recht und billig, wenn jetzt, wo es in den
USA vorübergehend nicht ganz so gut lief, Länder wie China und, nun ja,
vielleicht auch Deutschland ihre Konjunktur ankurbelten, ihren Konsum
befeuerten, endlich mehr importierten, vielleicht auch aus den United States of
America.
    Dann nickte er seinem »dear friend« zu, das Strahlen jetzt wieder
auf höchster Stufe, der strahlte zurück und beugte sich zum Mikrofon, das
jedoch ein wenig zu weit von seinem Mund entfernt stand. Aber schon war jemand
da, um den kleinen Fehler zu korrigieren. Der Minister überbrückte die kurze
Irritation mit einem Scherz, den ich wieder nicht verstand und der im Saal für
brüllendes Gelächter sorgte.
    Das Statement des Gastgebers bestand aus voller Zustimmung gemischt
mit viel Ja-Aber. Jedes einzelne von Hendersons Argumenten zerpflückte er,
nachdem er es zunächst für grundsätzlich richtig befunden hatte.
Selbstverständlich werde Deutschland seine Freunde nicht im Regen stehen
lassen, nachdem die USA Deutschland erst befreit, dann so lange unterstützt und
beschützt und am Ende sogar die deutsche Wiedervereinigung …
    Helena stand immer noch im Halbschatten der Säule und schien sich in
den letzten Minuten keinen Millimeter bewegt zu haben. Die Damen und Herren von
der Presse machten sich eifrig Notizen. Laptops, iPads und Fotoapparate waren
aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Die dicke Amerikanerin in der ersten
Reihe hatte einen schlaksigen Adjutanten neben sich, der das Mitschreiben
erledigte. Sie schien ein wenig unter Atemnot zu leiden. Ständig fummelte sie
am Kragen ihrer tannengrünen Bluse herum. Die Ansprache des deutschen Ministers
wurde synchron ins Englische übersetzt. Eine Übersetzung vom Englischen ins
Deutsche war dagegen nicht vorgesehen und wohl auch nicht notwendig.
    Nun durften Fragen gestellt werden.
    Die dicke Amerikanerin hob als Erste die Hand. Eine junge, drahtige
Frau huschte mit einem Mikrofon in der Hand zu ihr. Ich hätte nicht sagen
können, woher sie gekommen war, und das beunruhigte mich. Wie viele Menschen
gab es dort drin, die hinter irgendwelchen Vorhängen auf ihren Einsatz
warteten? Hatte man die alle …?
    Natürlich hatte man. Und zwar mehr als einmal.
    Ich begann, Gespenster zu sehen.
    Ein Blick zur großen, lautlos tickenden Uhr an der Wand: In siebzehn
Minuten würde es vorbei sein. Und keine Judith Landers weit und breit. Die
Pistole unter meiner Achsel drückte.
    Ich achtete weder auf die Frage der Dicken noch auf die knappen und
freundlichen Antworten der beiden mächtigen Männer hinter ihrem unsichtbar
gepanzerten Tisch.
    Hendersons stärkste Waffe war sein Charme, seine faszinierende
Präsenz. Die Taktik seines deutschen Amtskollegen war das genaue Gegenteil. Er
machte sich klein und harmlos. Dadurch war er schwer angreifbar. Die Frage der
Dicken schien kritisch gewesen zu sein, eine Steilvorlage für Henderson, welche
dieser elegant aufnahm, die dann aber am harmlosen Lächeln des Deutschen
abprallte. Da drinnen waren Schauspieler am Werk, wurde mir bewusst. Die
meisten Politiker waren vermutlich viel intelligenter, als sie sich in Fernsehinterviews
und Ansprachen ans Volk gerne gaben.
    Im Saal weiterhin alles friedlich.
    Noch zehn Minuten.
    Bald. Bald war es vorbei.
    Andererseits, was konnte in sechshundert Sekunden nicht alles
geschehen? Außerdem würde die Pressekonferenz mit Sicherheit länger dauern als
geplant. Es gab noch so viele Wortmeldungen, so viele Fragen und oft nervtötend
weitschweifige Antworten. Als der deutsche Wirtschaftsminister eine Journalistenfrage
einmal nicht mit einem wortreichen Statement, sondern mit einem schlichten
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