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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Wolfgang Burger
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    Unser deutsches Strafrecht definiert Mord als »Tötung
eines Menschen aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus
Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder
mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder
zu verdecken«.
    Keines dieser Motive trifft auf mich zu. Viele sagen sogar, ich
hätte aus einem der besten Motive gehandelt, nämlich um einem Menschen das
Leben zu retten. Das ist aber nicht wahr. Als ich abdrückte, war es bereits zu
spät. Da gab es schon nichts mehr zu retten. Ich habe einen Menschen getötet.
Sinnlos. Ohne jeden vernünftigen Grund. Wie ich es auch drehe und wende – mein
Gewissen nennt es Mord.
    Â»Wir sind hier nicht in Heiligendamm!«, stieß ich hervor
und hätte um ein Haar mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen. »Sie
können nicht einfach einen Zaun um die Stadt herum bauen und jeden, der
hineinwill, einem Sicherheitscheck unterziehen.«
    Â»Die Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsgespräche sind ja auch nicht
mit einem G8-Gipfel zu vergleichen«, erwiderte Keith Sneider mit seinem
undurchschaubaren und immer eine Spur überheblichen Grinsen. »Und niemand hat
vor, Ihr schönes Heidelberg einzuzäunen.«
    Seine freundliche Herablassung war mir noch bei jeder dieser ebenso
lästigen wie langweiligen Vorbereitungssitzungen auf die Nerven gegangen. Was
mich jedoch noch mehr ärgerte, war, dass ich mich bei diesen Veranstaltungen
regelmäßig unwichtig und überflüssig fühlte. Und wer fühlt sich schon gerne
unwichtig und überflüssig?
    Â»Ich bin wirklich sehr gespannt, wie Sie die Lage im Griff behalten
wollen, wenn hier ein paar Tausend Anarchos aufkreuzen – und sie werden kommen,
darauf können Sie Gift nehmen. Angenommen, die ziehen vors Tagungshotel, um es
in Brand zu stecken?«
    Ich hielt es für eine ausgemachte Schnapsidee, diese Wirtschaftsgespräche
ausgerechnet mitten in Heidelberg abzuhalten.
    Dr. Fred Höger, ein junger Schnösel und, wenn ich richtig verstanden
hatte, Vertreter des persönlichen Referenten von irgendjemandem, der ungeheuer
wichtig war, klopfte mit gepflegten Knöcheln auf den blank polierten Tisch.
»Meine Herren«, sagte er betreten. »Meine Herren, bitte.«
    Wir saßen in einem der größeren Besprechungsräume des Heidelberger
Rathauses. Der Tisch, um den herum sich heute knapp fünfzehn Personen mit
sorgenvollen Mienen versammelt hatten, war aus vornehm schimmerndem Mahagoni.
    Ich beschloss, für den Rest der Sitzung den Mund zu halten, nahm die
Brille ab und lehnte mich zurück. Ich dachte an Theresa, meine Geliebte.
Gestern war Dienstag gewesen, unser Abend. Wie üblich hatten wir uns in unserer
kleinen Zweizimmerwohnung getroffen, die wir einzig zu dem Zweck angemietet
hatten, um einen Ort zu haben, wo wir uns treffen und lieben konnten. Theresa
hatte mir von ihrem neuen Buchprojekt erzählt, das keine rechten Fortschritte
machte. Schon zum dritten Mal hatte sie wieder von vorn begonnen, und wieder
war sie nach zehn Seiten stecken geblieben, weil sie die Geschichte plötzlich
doof fand. Wir hatten gelacht und herumgealbert und später lange geschwiegen.
Es gab diese Abende, da fühlte unsere Liebe sich immer noch und immer wieder jung
an wie am ersten Tag. Ich schrieb ihr – das Handy sittsam unter dem Tisch –
eine ausführliche und ziemlich gefühlvolle SMS, und sie antwortete so
postwendend, als hätte sie mit den Daumen auf der Tastatur gewartet.
    Derweil wurde eifrig weiterdiskutiert, aber die Stimmen schienen in
den letzten Minuten leiser geworden zu sein. Das Gerede perlte von mir ab, und
plötzlich fühlte ich mich wie vor dreißig Jahren im Schulunterricht. Fünfte
Stunde, stickige Luft, draußen Regen, die leiernde Stimme der Mathelehrerin
weit, weit weg. Das Leben, das, worum die Welt sich eigentlich drehte,
unerreichbar fern.
    Erst vor wenigen Monaten war Theresas erstes Werk erschienen, ein
historisches Sittengemälde, in dem es im Wesentlichen um die Frage ging, wer es
am Heidelberger Hof des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts wie oft mit
wem getrieben hatte.
    Heute war Mittwoch, der achte September. Noch fünf Wochen bis zum
Beginn der Wirtschaftsgespräche, zu deren Vorbereitung ich zurzeit nahezu
täglich in irgendwelchen Besprechungen meine Zeit totschlug.
    Noch
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