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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau
Autoren: Wolfgang Burger
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geschossen hätten, dann hätte
sie wahrscheinlich getroffen. Ihr Schuss ist ganz knapp vorbeigegangen. Sie hat
einen von den Sicherheitsleuten hinter dem Vorhang getroffen. In die Schulter.
Er ist aber nicht schlimm verletzt. Frau Landers, die Judith, die ist jedenfalls
tot.«
    Ich schwieg. Sie wollte glauben, dass ich der Retter war. Dass ich
in Nothilfe geschossen hatte. Sie musste das glauben. Für sie schien ich so
etwas wie ein Held zu sein. Für mich war ich – ja, was?
    Solange ich auch grübelte, es fiel mir kein besseres Wort ein: ein
Mörder.
    Eine Gruppe dunkel gekleideter Männer rauschte herein. Mittendrin
Ron Henderson. Es fiel mir noch ein wenig schwer, auf eigenen Beinen zu stehen,
als er mir zum zweiten Mal viel zu kräftig die Hand drückte und sich bedankte.
Der Mann wirkte, als hätte er nicht vor Minuten mit knapper Not gleich zwei
Mordanschläge überlebt, sondern mit meiner Hilfe seine Brieftasche
wiedergefunden. Als ich zweimal geschluckt hatte, waren sie schon wieder
verschwunden.
    Â»Herr Gerlach?«, hörte ich eine leise Stimme von irgendwoher. »Sind
Sie noch da?«
    Sönnchen, ach ja.
    Â»Was ich Ihnen die ganze Zeit erzählen will«, sagte sie aufgeregt.
»Ich weiß jetzt, wieso die Frau Guballa so hinter der Judith her gewesen ist.
Sie erinnern sich, dass man die Judith dreiundneunzig im Hauptbahnhof von
Aachen beinah verhaftet hätte?«
    Â»Es hat Tote gegeben. Zwei Kollegen, nicht wahr?«
    Â»Einer von den beiden hat Martin Guballa geheißen. Eine Kollegin,
die auch dabei war, hat überlebt. Das war unsere Frau Guballa. Damals ist sie
Oberkommissarin bei der Kripo gewesen, und die beiden waren erst ein paar
Wochen verheiratet. Zu dem Zeitpunkt war sie im dritten Monat schwanger.«
    Â»Sie hat ein Kind?«, fragte ich zutiefst erschrocken und mit dem
Bild eines Babys vor Augen, das nun durch meine Schuld als Vollwaise aufwachsen
würde. Im nächsten Moment wurde mir klar, dass dieses Kind inzwischen erwachsen
sein musste.
    Â»Sie hat es verloren«, fuhr Sönnchen fort. »Sie hat dann lang nicht
wieder arbeiten können. Die Psyche, hat’s geheißen, sie hat einen Knacks
gehabt. Später hat sie noch mal ein paar Monate Innendienst gemacht. Dann ist
sie weg von der Polizei und hat angefangen, Psychologie zu studieren.«
    Ich saß auf einmal wieder auf meiner Pritsche. Um mich herum wurde
aufgeräumt. Gerätschaften und silbern glänzende Koffer wurden hinausgetragen.
Mich beachtete niemand.
    Â»Herr Gerlach?«, sagte Sönnchen.
    Â»Ja?«
    Â»Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass sie auf den
Amerikaner geschossen hat?«
    Ja, die hatte ich. Ich hatte es schon in jener lange vergangenen
Sekunde gewusst, als sie sich plötzlich zum Podium hindrehte. Der Abend im
Essighaus, der zweite, als wir uns zu nah gekommen waren. Ich sah ihr ernstes
Gesicht vor mir, als wäre es gestern gewesen. »Man darf sich nicht zu sehr
einlassen«, hatte sie gesagt. »Wenn man sich zu lange mit einem Menschen
beschäftigt, dann fängt man am Ende noch an, zu denken wie er.«
    Meine Kraft kehrte allmählich zurück. Ich stand versuchsweise auf.
Jemand nickte mir dankbar zu und klappte mit wenigen Handgriffen das Feldbett
hinter mir zusammen. Ich verabschiedete mich von Sönnchen, trat ins jetzt fast
menschenleere Foyer hinaus, blinzelte ins helle Licht, atmete tief durch, ging
ein paar Schritte auf und ab, betrat schließlich den Überwachungsraum. Sneider
kam mir entgegen, drückte meine Hand, schlug mir auf die Schulter wie ein
Sportsfreund, ersparte mir salbungsvolle Worte.
    Mithilfe der Videoaufzeichnungen hatten sie inzwischen rekonstruiert,
wie die Sache abgelaufen war. Etwa eine Viertelstunde vor Beginn der
Pressekonferenz war der ältere, hagere Sanitäter im Foyer aufgetaucht, hatte
sich, beobachtet von zwei beifällig grinsenden Securitymännern, ein paar Häppchen
vom Büfett stibitzt, war beim Weggehen mit der dicken Amerikanerin zusammengeprallt,
hatte sich wortreich entschuldigt, ihr einige Krümel vom Ärmel gewischt und
dabei vermutlich etwas ins Saftglas fallen lassen.
    Wir sprachen darüber, dass Judith Landers nicht die geringste Chance
gehabt hätte, lebend aus dem Hotel herauszukommen. Wir stimmten darin überein,
dass sie dies in Kauf genommen hatte. Dass sie ihren eigenen Tod in Kauf genommen
hatte. Auf Sneiders Frage,
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