Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
der Angst hatte, noch mehr Prügel zu bekommen. Sicher kein hartgesottener Killer. Harry erwiderte den Blick des Richters und sagte:
    »Nein.«
    Valderhaug nahm die Brille ab. »Aber als Gunnerud Ihnen begegnete, hat er die Flucht ergriffen, statt die Waffe zu zücken. Warum diese andere Taktik, als er Waaler gegenüberstand, was meinen Sie?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Harry. »Ich war nicht dabei.«
    »Aber Sie finden das nicht merkwürdig?«
    »Doch.«
    »Aber gerade haben Sie doch gesagt, dass Sie nicht überrascht waren.«
    Harry wippte mit dem Stuhl leicht nach hinten. »Ich bin schon so lange Polizist, Herr Richter. Es überrascht mich nicht mehr, dass Menschen seltsame Dinge tun. Nicht einmal Mörder.«
    Valderhaug schob seine Brille wieder auf die Nase und Harry glaubte einen Anflug von Lächeln auf seinem faltigen Gesicht zu erkennen.
    Ola Lunde räusperte sich. »Wie Sie wissen, war Hauptkommissar Tom Waaler wegen einer ähnlichen Sache im letzten Jahr vorübergehend suspendiert, damals wollte er einen Neonazi verhaften.«
    »Sverre Olsen«, sagte Harry.
    »Die interne Ermittlung kam seinerzeit zu dem Ergebnis, dass es von Seiten der Staatsanwaltschaft keinen Grund gibt, Anklage zu erheben.«
    »Die Ermittlungen dauerten nur eine Woche«, sagte Harry.
    Ola Lunde blickte fragend zu Valderhaug, der mit einem Nicken antwortete. »Egal«, sagte Lunde, »wir finden es natürlich auffällig, dass der gleiche Mann noch einmal in der gleichen Situation ist. Wir wissen, dass es in der Polizei ein starkes Gemeinschaftsgefühl gibt und man ungern einen Kollegen in eine peinliche Situation bringt, indem man jemanden … äh …«
    »Denunziert«, sagte Harry.
    »Was?«
    »Ich glaube, das Wort, das Sie suchen, ist denunzieren.«
    Lunde warf Valderhaug erneut einen Blick zu. »Ich verstehe, was Sie meinen, aber ich würde lieber davon sprechen, mit relevanten Informationen dazu beizutragen, dass die Spielregeln eingehalten werden können. Sind Sie einverstanden, Hole?«
    Harrys Stuhl landete mit einem Knall auf den Vorderbeinen. »Ja, das bin ich. Ich kann nur meine Worte nicht so gut wählen wie Sie.«
    Es gelang Valderhaug nicht mehr, sein Lächeln zurückzuhalten.
    »Da bin ich mir nicht so sicher, Hole«, sagte Lunde, der jetzt selbst grinsen musste. »Es ist gut, dass wir einer Meinung sind, und da Sie und Waaler seit vielen Jahren zusammenarbeiten, möchten wir Sie bitten, uns etwas über den Charakter von Tom Waaler zu sagen. Andere, die wir hier gesprochen haben, haben uns von seinem kompromisslosen Umgang mit Kriminellen und teilweise auch Nicht-Kriminellen berichtet. Kann es sein, dass Tom Waaler in einem unbedachten Augenblick Alf Gunnerud erschossen hat?«
    Harry starrte lange aus dem Fenster. Durch den Schnee konnte er nur noch die Konturen des Ekebergs erkennen. Aber er wusste, dass er dort war. Jahraus, jahrein hatte er an seinem Schreibtisch hier im Präsidium gesessen, und immer war er da gewesen, grün im Sommer, schwarz und weiß im Winter, er war nicht zu bewegen, sondern lag einfach da wie eine Tatsache. Das Gute an Tatsachen ist, dass man nicht darüber nachgrübeln muss, ob sie erwünscht sind oder nicht.
    »Nein«, sagte Harry. »Es ist nicht denkbar, dass Tom Waaler in einem unbedachten Augenblick Alf Gunnerud erschossen hat.«
    Falls jemand im Komitee bemerkte, dass Harry das Wort unbedacht ein ganz klein wenig mehr betonte als die anderen Worte, so ließ er es sich nicht anmerken.
    Draußen auf dem Flur erhob sich Weber, als Harry aus dem Zimmer kam.
    »Der Nächste bitte«, sagte Harry. »Was hast du denn da?«
    Weber hielt einen Plastikbeutel hoch. »Die Pistole von Gunnerud. Ich muss rein und das hinter mich bringen.«
    »Hm.« Harry schnippte sich eine Zigarette aus seinem Päckchen. »Ungewöhnliche Pistole.«
    »Aus Israel«, sagte Weber. »Jericho 941.«
    Harry blieb stehen und starrte auf die Tür, die hinter Weber ins Schloss fiel, bis Møller vorbeikam und Harry darauf aufmerksam machte, dass er eine unangezündete Zigarette im Mund hatte.
     
    Im Raubdezernat war es merkwürdig still. Die Beamten hatten zuerst Witze gemacht und gesagt, der Exekutor halte Winterschlaf, doch inzwischen hieß es, er habe sich irgendwo an einem geheimen Ort erschießen lassen, um ewig eine Legende zu bleiben. Der Schnee legte sich auf die Dächer der Stadt, rutschte hinunter und legte sich erneut darauf, während der Rauch ruhig aus den Schornsteinen quoll.
    Die Dezernate für Gewaltverbrechen, Raub
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher