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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte
Autoren: Jo Nesbø
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und Sitte veranstalteten eine gemeinsame Weihnachtsfeier in der Kantine. Es gab Tischkärtchen, und Bjarne Møller, Beate Lønn und Halvorsen landeten nebeneinander. Zwischen ihnen stand ein leerer Stuhl und ein Teller mit Harrys Namensschild.
    »Wo ist er?«, fragte Møller und goss Beate Wein ein.
    »Unterwegs, er sucht nach einem von Sverre Olsens Kumpeln, der behauptet hat, Olsen und einen anderen Kerl in der Mordnacht gesehen zu haben«, sagte Halvorsen, der sich damit abmühte, eine Bierflasche mit einem Feuerzeug zu öffnen.
    »So etwas Frustrierendes«, sagte Møller. »Aber sagen Sie ihm, dass er sich nicht totarbeiten soll. Er könnte sich doch wenigstens Zeit für die Weihnachtsfeier nehmen.«
    »Sagen Sie ihm das selbst«, sagte Halvorsen.
    »Vielleicht hat er einfach nur keine Lust, hier zu sein«, sagte Beate.
    Die beiden Männer sahen sie lächelnd an.
    »Was ist?«, fragte sie lächelnd. »Meint ihr, ich kenn ihn mittlerweile nicht auch?«
    Sie prosteten sich zu. Halvorsen lächelte noch immer. Er konnte seine Augen nicht losreißen. Es war etwas – er konnte es nicht in Worte fassen – es war etwas mit ihr geschehen. Zuletzt hatte er sie im Besprechungszimmer gesehen, doch da hatte er noch nicht dieses Leben in ihren Augen bemerkt. Das Blut in den Lippen. Diese Haltung, diesen Schwung im Rücken.
    »Harry geht lieber ins Gefängnis als auf solche Anlässe«, sagte Møller und erzählte, wie Linda, die Empfangsdame des polizeilichen Überwachungsdienstes, ihn einmal zu einem Tanz genötigt hatte.
    Beate lachte derart, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Dann drehte sie sich zu Halvorsen und legte den Kopf auf die Seite: »Und du sitzt nur da und guckst?«
    Halvorsen spürte, wie er rot wurde, und stammelte betroffen »aber nein«, ehe Beate und Møller erneut losprusteten.
    Später am Abend nahm er all seinen Mut zusammen und fragte sie, ob sie tanzen wolle. Møller blieb allein sitzen, bis sich Ivarsson zu ihm gesellte und sich auf Beates Stuhl setzte. Er war betrunken, lallte und wollte über die Zeit sprechen, in der er vor Angst gelähmt vor einer Bankfiliale in Ryen gehockt hatte.
    »Das ist doch lange her, Rune«, sagte Møller. »Du warst da doch noch ein Frischling. Du hättest doch nichts tun können.«
    Ivarsson legte den Kopf nach hinten und sah Møller lange an. Dann stand er auf und ging, und Møller dachte, dass Ivarsson einer von diesen Menschen war, die einsam sind, ohne es selbst zu wissen.
    Als die DJs Li und Li mit dem Lied Purple Rain das Ende der Feier einläuteten, stießen Beate und Halvorsen auf der Tanzfläche mit einem der anderen Tanzpaare zusammen, und Halvorsen bemerkte, dass Beates Körper plötzlich ganz steif wurde. Er sah zu dem anderen Paar hinüber.
    »Entschuldigung«, sagte eine tiefe Stimme. Die weißen, starken Zähne im David-Hasselhoff-Gesicht leuchteten im Halbdunkel.
    Nach Abschluss der Feier war es unmöglich, ein Taxi zu bekommen, und Halvorsen bot Beate an, sie nach Hause zu bringen. Sie wateten durch den Schnee nach Osten und brauchten mehr als eine Stunde, ehe sie vor ihrer Tür im Stadtteil Oppsal standen.
    Beate lächelte und drehte sich zu Halvorsen. »Wenn du willst, bist du herzlich willkommen«, sagte sie.
    »Gerne«, sagte er. »Vielen Dank.«
    »Abgemacht«, sagte sie. »Ich sage Mutter morgen Bescheid.«
    Er sagte Gute Nacht, gab ihr einen Kuss auf die Wange und begann die Polarexpedition zurück in Richtung Westen.
     
    Am siebzehnten Dezember meldete das Staatliche Meteorologische Institut, dass man kurz davor sei, den zwanzig Jahre alten Niederschlagsrekord für den Monat Dezember zu brechen.
    Am gleichen Tag kam die interne Ermittlung zu dem Ergebnis, die Waaler-Sache einzustellen.
    Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass keine Fehler begangen worden waren. Stattdessen wurde Waaler dafür gelobt, in einer äußerst dramatischen Situation korrekt gehandelt und die Ruhe bewahrt zu haben. Der Polizeipräsident telefonierte mit dem Kriminalchef, ob sie Waaler für eine Auszeichnung vorschlagen sollten, doch da Alf Gunneruds Familie zu den besseren der Stadt gehörte – sein Onkel saß in der Stadtverwaltung –, wurde dies dann doch als unpassend erachtet.
    Harry nickte nur kurz, als ihm Halvorsen die Nachricht brachte, dass Waaler wieder im Dienst sei.
     
    Der Weihnachtsabend kam und der weihnachtliche Frieden senkte sich wenigstens über das kleine Norwegen.
    Rakel hatte Harry und Oleg aus dem Haus gejagt und das Weihnachtsessen
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