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Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules

Titel: Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
Autoren: Agatha Christie
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ein Kürbis ist kein Bordeaux.« Das Wort Blume erinnerte Dr. Burton an das Glas neben sich. Er nippte und kostete. »Sehr guter Wein, das. Sehr reell. Ja.« Er nickte anerkennend. »Aber die Sache mit den Kürbissen – das ist doch nicht Ihr Ernst? Sie wollen doch nicht sagen«, er war ehrlich empört, »dass Sie sich tatsächlich bücken werden« – seine Hände glitten in mitfühlendem Entsetzen auf seinen eigenen rundlichen Bauch herab –, »bücken und Dünger auf das Zeug schaufeln und es mit Holzwolle unterlegen und so weiter?«
    »Sie scheinen ein guter Kenner der Kürbiszucht zu sein«, sagte Poirot.
    »Ich habe Gärtnern zugesehen. Aber im Ernst, Poirot, was für ein sonderbares Hobby! Vergleichen Sie es« – seine Stimme sank zu einem schwärmerischen Flüstern – »mit dem Lehnstuhl vor einem Kaminfeuer in einem länglichen, niedrigen Zimmer voller Bücher – es muss ein längliches Zimmer sein, kein viereckiges. Umgeben von Büchern. Ein Glas Portwein – und ein offenes Buch in der Hand. Das Rad der Zeit dreht sich zurück, während man liest.« Er zitierte klangvoll, zuerst auf Griechisch, und dann übersetzte er:
    »›Wieder mit Geschick steuert der Pilot auf dem dunklen Meer. Das schnelle Schiff, von den Winden gepeitscht.‹ Natürlich kann die Übersetzung den Geist des Originals nie wiedergeben.«
    Dr. Burton hatte in seiner Begeisterung Poirot einen Augenblick lang vergessen. In Poirot, der ihn beobachtet hatte, stiegen plötzlich Zweifel auf – es durchzuckte ihn schmerzlich. Sollte er da etwas versäumt haben? Irgendeinen geistigen Reichtum? Eine leise Wehmut überkam ihn. Ja, er hätte sich mit den Klassikern befassen sollen. Vor langer Zeit – jetzt war es zu spät…
    Dr. Burton unterbrach diese melancholischen Gedankengänge. »Denken Sie ernstlich daran, sich zurückzuziehen?«
    »Ja.«
    Der andere kicherte.
    »Sie werden es nicht tun.«
    »Aber ich versichere Ihnen – «
    »Sie werden es nicht tun können. Sie hängen zu sehr an Ihrer Arbeit.«
    »Nein, bestimmt, ich treffe alle Vorbereitungen – noch einige Fälle, speziell ausgewählte – nicht alles, was sich bietet, wissen Sie. Nur Probleme, die mich reizen.«
    Dr. Burton grinste.
    »So geht’s. Nur ein bis zwei Fälle, nur noch einen Fall – und so weiter. Die Abschiedsvorstellung der Primadonna, das kennt man.«
    Er kicherte und stand langsam auf, ein liebenswürdiger, weißhaariger Gnom.
    »Ihre Arbeiten sind ja nicht die Arbeiten des Herkules«, sagte er, »es sind Arbeiten der Liebe. Sie werden sehen, dass ich Recht behalte. Ich wette, dass Sie in zwölf Monaten noch hier sind und dass Kürbisse«, er schauderte, »noch einfache Kürbisse sein werden.«
    Dr. Burton verabschiedete sich von seinem Gastgeber und verließ das rechteckige, gediegene Zimmer.
    Er verschwindet aus diesen Seiten, um nicht wiederzukehren. Uns beschäftigt nur, was er zurückließ, nämlich eine Idee.
    Denn nach seinem Abgang setzte Poirot sich traumverloren wieder hin und murmelte: »Die Arbeiten des Herkules… mais oui, c’est une idée, ça…«
     
    Am nächsten Morgen las Poirot eifrig in einem großen kalbsledernen Band und anderen dickeren Werken und warf gelegentlich gequälte Blicke auf verschiedene vollgetippte Bögen. Seine Sekretärin, Miss Lemon, war beauftragt worden, alles Wissenswerte über das Thema Herkules zu sammeln und ihm vorzulegen.
    Ohne besonderes Interesse (sie war nicht der Typ, der nach dem Grund fragt), aber mit vorbildlicher Gründlichkeit hatte Miss Lemon ihre Aufgabe erfüllt. Hercule Poirot steckte in einer Flut klassischer Sagen mit besonderer Erwähnung von »Herkules, einem berühmten Helden, der nach seinem Tod zu den Göttern erhoben wurde und göttliche Ehren genoss«.
    Bis dahin war es nicht schwer – aber dann ging es nicht so glatt. Während zwei Stunden las Poirot angestrengt, machte stirnrunzelnd Anmerkungen und konsultierte seine Notizen und Nachschlagewerke. Endlich sank er in seinen Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. Die Stimmung des Vorabends war verflogen. Was für Leute waren doch diese Sagengestalten!
    Dieser Herkules zum Beispiel – dieser Held! Was war er anders als ein riesiger muskulöser Kerl von minderer Intelligenz mit verbrecherischen Neigungen! Er erinnerte Poirot an einen gewissen Adolph Durand, einen Metzger, der in Lyon im Jahre 1895 vor Gericht stand, ein Kerl stark wie ein Ochs, der mehrere Kinder umgebracht hatte. Die Rechtfertigung war Epilepsie gewesen – obwohl
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