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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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für mich gemacht, lassen Sie mich los!«
    Und sie hebeln mich aus den Decken, obwohl ich mich gegen sie stemme und winde, und ziehen mich heraus. Die Besucher strömen langsam näher, um diese erstaunliche Darbietung beobachten zu können. Zwei Männer in grauen Uniformen laufen federnd zu mir und packen mich schweigend an den Schultern, unter den Armen, und schleifen mich zu einer vom eleganten Verkäufer schnell geöffneten Tür, die in einen fensterlosen schmalen Gang führt. Hinter all der Pracht und dem Glanz.
    Es riecht muffig und stickig. Sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist, werden ihre Bewegungen gröber und fordernder. Sie lachen.
    »Ich will zu meiner Mutter«, brülle ich. »Ich will zu meinem Sohn!« Ich ramme meine Füße in den Teppich, und sie werfen mich mit voller Wucht auf den Boden und reißen mich wieder hoch, ich verbeiße mich in die nächstbeste Hand, und einer schlägt mir mit der Faust auf den Hinterkopf und macht eine abschneidende Bewegung am Hals entlang, sie sind tot, zeigt er mir, sie sind schon verloren, schon vergangen, wird mir klar, es gibt sie nicht mehr, so wie es meinen Heimweg nicht mehr gibt, unwiederbringlich.
    »Wirklich?«, frage ich, und ich bekomme entsetzliche Angst, und ich beginne zu weinen, dann zu heulen, laut und hemmungslos wie ein verzweifeltes Tier, und sie werfen mich nochmals auf den Boden und treten mich, bis ich schweige. Bis das Bild des Hauses, in dem die drei vereisten Körper puppenhaft still in ihren Betten liegen, in meinem Inneren verblasst.
    *
    Als sie mich später auf die Straße stoßen, ins Licht der Straßenlaternen hinein, habe ich schon wieder keine Ahnung mehr, wohin ich vorhin gehen wollte, was ich dort gesucht habe, und ich wische das Blut von meiner Lippe und suche Unterschlupf, verstecke mich weit weg vom Licht.
    *
    Die Städte beginnen mich mit ihrer Helligkeit zu bedrohen, ich umgehe Lichter in der Nacht, ich bewege mich in der Deckung von Bäumen und Sträuchern, die Autos, die mit blendenden Scheinwerfern durch die Nacht stechen, sind mir ein Greuel. Das Licht ist gnadenlos, es bricht ins Undeutliche, zerrt mich an jene Oberflächen, die ich meiden will, nagelt mich fest. Wie konnte ich nur glauben, der Golem würde sich hier aufhalten wollen, das ist nicht seine Welt, und damit auch nicht mehr meine. Hier habe ich versagt. Wenn er mir nicht gehorcht, so muss ich wohl ihm gehorchen, wenn ich etwas erreichen will. Ich verlasse die Lichter, in dem Wissen, dass die wirkliche Wanderung erst jetzt beginnt. Jenseits der Stadtgrenze, hinter den Tankstellen und den ärmlichen Betonhäusern der Vororte, weiß ich, dass er wiederauftauchen wird. Ich spüre ihn so deutlich wie das Schlagen meines Herzens.
    *
    Er geht vor, langsam, und hält inne und wartet auf mich, ich glaube, dass er auf mich wartet, ich will es so gerne glauben, dass er wartet, auf mich, nur auf mich, und ich folge zögerlich, und als er merkt, dass ich mich nähere, hebt er wieder einen Arm und macht eine vage Bewegung und zeigt mir den Weg, und wir ziehen los, in die Wälder.
    »Halt! Bleib stehen!«, schreie ich ein ums andere Mal, aber er wendet sich nicht noch einmal nach mir um, er geht gemächlich, bestimmend, die Bäume behindern ihn nicht wie mich, seine breite Brust öffnet ihm jeden Waldpfad. Er schafft es, den immer gleichen Abstand zu halten, meine Füße gleiten auf den Blättern am abschüssigen Boden aus und ich rutsche, überschlage mich, verliere Dinge aus meinem Rucksack, keine Zeit, keine Zeit mehr, ich blicke mich nicht einmal nach ihnen um. Egal, wie sehr ich mich auch beeile, er ist immer gleich weit, wie der Horizont, wie ein verfluchter Brunnen, wie Katzengold, ich folge ihm und versuche ihm über wilde Abkürzungen durch das Dickicht näher zu kommen, Zweige peitschen mir ins Gesicht, ich achte nicht weiter auf sie, bis mir ein blutiger Striemen über die Wange gezogen wird, und auch das ist mir egal, ich stürze ihm nach, zwischen den Ästen, die schon fast so dunkel sind wie der Himmel über uns.
    Irgendwann ist es ganz finster und ich stehe auf einer Lichtung, von der ich nicht weiß, wie ich dorthin gekommen bin, ein paar Sterne über den Wipfeln, und die Erde dreht sich gemeinsam mit mir, einmal, zweimal, wieder und wieder, um meine Achse drehen wir uns, drehen uns, und ich brülle mir die Seele aus dem Leib.
    *
    Am Nachmittag entdecke ich einen Waldweg, der frische Reifenspuren trägt, und mein Herz schlägt schneller, und ich
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