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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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lassen. Ich vergieße die weißen Tropfen über meine Brust und Hände, die leicht zittern. Sie lächelt mir beruhigend zu, sie klopft mir auf die Schulter, so wie sie den Kühen die breiten Schultern tätschelt, und ich kann mir gut vorstellen, wie die Kühe ihr ohne Widerrede folgen, ohne dass jemals Gewaltanwendung nötig wird. Sie sieht mich prüfend an, wie sie jedes erkrankte Tier in ihrer Nähe ansehen würde, mit wachem Interesse und einem Mitgefühl, das jederzeit in Kälte umschlagen kann, wenn es für die Herde besser ist. Ihr Gesicht und ihre Hände sind so zerfurcht wie die Landschaft rundum, dunkelbraun, ledrig. Sie nimmt den leeren Krug aus meinen Händen und lächelt mich an, manche Zähne fehlen. Sie ist alt, immer noch gerne am Leben, das spüre ich, auch wenn wir kein Wort wechseln. Die Augen sind stechend blau, so wie ihr Haar ein reines Weiß ist, sie ist geworden wie die Berge, die sie umgeben, sie spiegelt die Farben der Umgebung und ihre Zähigkeit. Es ist kühl, bald kommt der Schnee. Hinter ihr hängt glänzender Aufputz für die Kühe, der an indische Elefantenkopfbedeckungen erinnert und an venezianische Masken. Die aufgeklebten Rauten aus spiegelndem Papier werfen bunte Flecken auf die Almhüttenwand.
    *
    Am Weg glänzende Tautropfen aus Stein. Bergperlen. Bleitränen der Eiszeit. Hie und da wird die tarnende Schutzschicht aus Erde und Moos penetriert von Marmorrippenbögen, Steinschultern, auf denen das Gebirge ruht, und das Wesen regt sich dunkel in der Tiefe, ich bekomme Angst, es könnte sich schlaftrunken auf die Seite wälzen, während ich noch auf diesem Bergpfad gehe, und mich zermalmen wie eine unachtsame Mutter ihr noch tiefer schlafendes Kind. Du bist so schwer, sage ich. Ich hasse dich.
    *
    Ich breite meine Arme aus und öffne meine Beine, drücke mich in die Steinwand und gehe in ihr unter. In ihr auf. Spüre die Kühle des Marmors an meiner Haut und die Festigkeit und stabile Dichte. Präge mich ihm auf, durchdringe es als Fleischader im Stein, die schnell abkühlt und gefühllos und erhaben wird wie das Bergmassiv selbst.
    *
    Die Schlucht ist steil und der Himmel sehr weit über mir in einem Spalt aus Grau zu erkennen. Ich sehe hinauf, ich muss den Kopf in den Nacken legen, Gipfel der Berge schälen sich aus dem lebenden Dreck, leblos und sauber ab ihrer halben Höhe, ab der Trennlinie, an der alles Wachsende zurücktritt und nur noch Stein und Eis übrig bleiben. Rein. Klar. Schlamm, Blut und Gras bleiben in ihrer hysterischen Absicht zu leben zurück und vermehren sich weiter im Dreck, Dreck wird zu Dreck. Ich würde gerne weiter nach oben steigen, um mich zu reinigen und alles das hinter mir zu lassen, aber etwas in mir weiß, dass ich den entgegengesetzten Pfad einschlagen werde, weil es dafür zu spät ist. Der Golem führt mich unweigerlich über den Pass wieder hinab, in die nieder gelegenen Orte.
    *
    Da war einmal etwas, das ich erfüllen musste. Irgendwann war da etwas, das mein Ziel war und mein Fluchtpunkt. Da war einmal etwas, aber ich weiß nicht mehr, wo das gewesen ist oder warum. Manchmal, wenn ich auf der Erde liege und in sie hineinhöre, ob sie sich noch hebt und senkt mit meinen Atemzügen, wenn mir nicht kalt ist und kein Hunger meine Eingeweide verätzt, wenn ich friedlich liege und auf den Golem warte, und ich nicht friere, weil sein Ausatmen nur für mich da ist, manchmal sehe ich Bilder, auf die ich mir keinen Reim machen kann, Bilder von einem Garten, von Eisblumen auf dunklen Fenstern, ich höre jemanden rufen, nach mir, nach mir, und dann nicht mehr.
    *
    Tümpel wie weit offene Augen im Torf, mal braun, mal blau mit der Iris der Sonne, die den Himmel auskundschaftet, weit offen, teilnahmslos. Ich trete hinein, trete nach der irrtümlicherweise im Schmutz gelandeten Sonne und zersplittere sie. Bruchstücke.
    *
    Selten traue ich mich in der Nacht aus dem Wald hinaus, um mir Dinge zu holen, die sie unachtsam in Gärten oder Schuppen stehenlassen. Kleine lächerliche Dinge aus Holz, Plastik und Metall, die keine Bedeutung mehr für mich besitzen, lasse ich liegen, meist gibt es mehr Unnötiges bei Menschen zu holen, als das, was ich brauche. Einmal erwischte mich eine Bäuerin, wie ich nach den Eiern ihrer Hühner griff, und schoss mir nach, der blutige Streifen am Oberarm wollte lange nicht heilen, flammte auf und roch übel.
    *
    Meine Haut verändert sich, je länger ich in den Wäldern lebe, sie nimmt den Geruch meiner Umgebung an, nach feuchtem
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