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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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jubiliere und verdreifache meine Geschwindigkeit, ich tanze im Matsch, im Schatten der Eichen. Wo es Reifenspuren gibt, gibt es auch Orte, an die diese Wagen gefahren sind, ich folge, folge, folge den Reifenspuren, bis ich vor einem verbreiterten Straßenabschnitt stehe, in dessen Nähe Bäume gefällt worden sind. Es riecht süßlich nach frischen Sägespänen. Mehrere Baumstämme liegen im Schlamm.
    *
    Die Feuchtigkeit dieses verdammten Flusses kriecht über meine Schuhe in die Socken, durch die Haut, in die Knochen.
    Ich liege zusammengerollt in einer Erdkuhle, ich zittere, ich habe alles, was ich mithabe, um mich gewickelt, ich liege als Lumpenklumpen in der Erde und schreie nach ihm, und er kommt nicht, obwohl ich brülle und wimmere, er kommt nicht, und ich friere weiter, das Zittern wird zur Gewohnheit. Ich stopfe mir die Faust in den Mund, fixiere die Kiefer damit und atme Wärme in meine Haut, um der Erde Widerstand zu leisten.
    Ich kann das.
    Ich bin ganz allein.
    *
    Im Morgendunst das Versprechen von kleinen schäbigen Schrebergärtchen, die von Vogelscheuchen bewacht werden. Steinzeitliche Farne im Herbst eingeschlossen wie in Bernstein, braun-zartes Grau und verwaschenes Weiß Schicht um Schicht verschleiert, verborgen und nicht wert befunden, wie ich. Vater, frage ich mich, hast du mich so gesehen? Auch wenn du dich abwendest, wachse ich dir entgegen, seit Jahrtausenden aus jahrmillionenalter Erde, unter deren Oberfläche glühende Steinströme auf- und niedersteigen, um das Gesicht des Planeten beständig zu verändern, während deines immer gleich bleibt, das Gesicht eines jungen Mannes mit Bart. Erstarrt im Goldrahmen an der Wand in Mutters Schlafzimmer.
    *
    Die Berge atmen Nebel in den stahlgrauen Himmel. Irgendwo im Weißschlierigen hängt der dunkle Umriss einer Hütte zwischen Himmel und Erde. Ich sperrte mich auf der Toilette ein und fuhr mehrere Stationen mit dem Zug.
    *
    Wenn ich mir im Unterholz einen Schlafplatz suche, wenn ich, manchmal hungrig, manchmal satt, mich in meinen Schlafsack einrolle und die Zeitungen über mich lege als nächste Schutzschicht, fällt mir auf, dass dieses erdige Gesichtslose des Golems beginnt, die Züge meines Sohnes zu überlagern, es ist, als müsste ich mich durch diese Leere erst zu seinen Gesichtskonturen durchringen, sie Schicht um Schicht entfernen, wie die Eisblumen an den Fenstern entfernt worden sind, mit bloßen Händen und warmem Atem und Geduld.
    *
    Ich gehe in die Hocke über den fruchtbaren, vom Rotor des Traktors aufgelockerten Reihen brauner geschmeidiger Erde, ich gehe in die Hocke, meine Kleider an den Rand des Feldes abgelegt, neben meinem Rucksack, und lasse mich ausfließen, dunkles Menschenblut auf Erdfleisch, die Krämpfe ebben ab, und der Propfen in meinem Inneren löst sich, mein Hintern wirft den Schatten zweier Halbmonde auf die Erdstreifen, die von Menschenhand in die Hügel gepflügt worden sind, ich hocke über dem Feld und lasse es an meiner Fruchtbarkeit teilhaben, großzügig bin ich, lebensvoll, reich an Gewebe.
    Meine Stirn trägt nässende Golemzeichen, wenn er nicht da ist, um ihn zu unterwerfen, muss ich es bei mir selbst tun. Als ich fertig bin, knie ich mich neben den dampfend warmen Abschnitt, den ich gestaltet habe, und vermenge die Erdschicht mit meinem Blut, rühre und knete sie wie einen guten Brotteig, ich kann das so gut wie meine Mutter, meine Mutter ist zu feige, ihre Frucht öffentlich reifen zu lassen, ich nicht, ich bin schlauer, ich werde überleben, während sie untergehen wird, wenn ich nicht überlebe. Sie ist abhängig von mir, wie ich einst von ihr abhängig gewesen bin, abhängig von ihrer knochigen Hand, abhängig von ihrer schlaffen leeren Brust, der verdorbenen Milch, die immer zu wenig war, bitter und wenig wie alles, was von ihr kommt, und ich bin großzügig, und ich steche mit meinem Pilzmesser in meine Brustwarze, weil ich mehr geben kann und mehr geben will als sie, immer mehr gegeben habe als sie, mehr als alles gegeben habe, ohne ein Wort des Dankes zu hören, von ihr nicht, von meinem Sohn nicht, von niemandem, ich steche das Messer ohne zu zögern in meine Brust und drücke Blut heraus, es fühlt sich an wie Milch aus der Brust der Stillenden, mit sanftem Druck, wenn das Baby zu schwach dazu ist, ich wäre nicht schwach gewesen, aber meine Mutter fürchtete meine Zähne, fürchtete meine Gier, die Gier, die sie sich selbst niemals gestattet hätte, die Gier, die sie so gerne hervorrief und
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