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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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die bis zum Boden fallen in verführerischem Glanz.
    Ich wandere zwischen ihnen wie in einem von der Außenwelt verborgenen Lustgarten, der keineswegs geheim ist: Die Betten tragen alle verschiedene Namen, im Unterschied zu uns, die wir störend eindringen, sie warten auf diejenigen, die das Recht haben, sich dort niederzulassen. Ich sehe genauer hin: Sie tragen Kärtchen, mit Vor- und Nachnamen versehen, Kärtchen wie jene, die an Fluggepäck befestigt werden. Giorgio Armani. Tommy Hilfiger. Ich sehe mich um, kein Herr Armani zu sehen, der sich in sein angestammtes Bett legen möchte. Kein Hilfiger weit und breit.
    Ob in dieser Oase auch irgendwo mein Name festgehalten steht? Mein Platz, vielleicht mir gnädig zugewiesen, mir allein? Wie im Spital?
    Die Suche nach meinem Namen erscheint mir nach kurzer Zeit zu langweilig, wenn nicht sogar vergeblich. Ich will nicht suchen, ich will frei sein.
    Hier ist es warm, warm genug, um sich zu freuen und leicht zu werden. Ich mache eine halbe Drehung, dann die nächste, der Raum ist so festlich, dass ich tanzen möchte, ich drehe mich um meine Achse und verbeuge mich schließlich bis zum Boden so tief. Streife mit meiner Hand über die Seidendecken, über die Spitzen. Die Polster sind bestimmt mit Daune gefüllt, hell wie Schnee und weich wie Watte, rein, wie echte Reinheit nur sein kann, rein wie jenes Bett, das meine Mutter mir nach jeder Heimkehr bereitete, rein wie das Bett, das man mir bei Dr. Petersen zuwies, bevor ich es, wie all die anderen reinen Orte, mutwillig verließ. Ich bekomme eine überwältigende Sehnsucht nach diesen Orten, die mich schneller ausfüllt, als der nagende Hunger es je könnte, ich bin ein faltiger Hautsack, mit Sehnsucht aufgeblasen, wie ein Luftballon mit Helium gefüllt wird. Sehnsucht ist stärker als Helium, Sehnsucht ist Äther.
    Ich habe meine Mutter wieder sehr genau vor Augen, ihr Gesicht, ihre ausgedünnte Gestalt, sie schüttelt als hagere Frau Holle die Decken für mich auf. Ich sehe ihre sehnigen Hände, um den Brustkorb meines Sohnes gelegt. Ich sehe seine Brust, aber ich sehe sein Gesicht nicht. Ich erschrecke, wie weit weg sie alle bereits gerückt sind, verschwommen, in der Entfernung, wie konnte ich vergessen, wie konnte ich meinen Sohn aus den Augen verlieren, frage ich mich, wie komme ich nur nach Hause, wie war der Weg nach Hause? Wohin? Wohin bin ich immer gegangen, wenn ich heimging?
    Ich setze mich zwischen die Betten und denke nach.
    Es will mir nicht einfallen, der Weg ist im Schnee verborgen, im Schneegestöber draußen, im Schneegestöber in mir. Das Schneegestöber, das mich in dieses Haus getrieben hat, fällt mir wieder ein, die Kälte draußen.
    Was habe ich hier gesucht, denke ich. Ich habe doch irgendetwas hier drinnen gesucht.
    Ich lege meine Hand wieder vorsichtig auf die Schneefläche, die das Doppelbett krönt, gerundet wie barocke Frauenschultern. Ich empfinde eine überwältigende Lust, mich nur ganz leicht an diese Schulter zu lehnen, den Kopf abzulegen und einen Augenblick lang oder auch etwas länger die Augen zu schließen, um ruhig ein- und auszuatmen. Um den Weg wiederzufinden.
    Ich umarme die Polster, mein Gesicht fest hineingedrückt, dann werfe ich mich der Länge nach in das Bett und spüre die Federleichte an meinem Körper.
    So müssten sich jene pausbäckigen Engelchen fühlen, die auf den Plakaten im Hintergrund aus den Wolken heraussahen. Die Köpfe umrahmt von Flügelchen, die ganz bestimmt nicht ihr ganzes Gewicht tragen könnten, sollten die faulen fetten Blagen wirklich fliegen wollen. Ich schlüpfe in das Reinweiße, ziehe meine Beine an den Bauch, den Kopf an die Brust, alles ist weich und schwerelos und warm, ich bin im Himmel, ich bin ein Watteembryo, eine Heimkehrerin aus der Erdwelt und schwebe, schwebe, schwebe dahin.
    Da greift jemand unter die Decke, da packt mich jemand am Handgelenk, mit eisernem Griff, und zieht meine Hand aus den Decken hervor, aus den Decken heraus. Ich schließe die Augen und beginne den Kopf hin und her zu schütteln, eine große Verneinung des Geschehens, und der Griff um meinen Arm lockert sich nicht, und sie reden mich an. Sie heben die Stimmen in einer unbekannten Sprache, und ich schreie, schreie und versuche, mich wieder in die Laken zu verkriechen. Sie sind sanft, die Gesichter angespannt, das Lächeln muss ständig erneuert werden.
    Ich kreische: »Ich will nach Hause, lassen Sie mich los, ich will endlich nach Hause, meine Mutter hat das Bett
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