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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Autoren: Robert Gordian
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    D em edlen Volbertus, Prior im Kloster N. entbietet sein treuer Vetter Lupus den Heilgruß!
    Dieser Bericht, mein Teurer, wird Dich das Grausen lehren, weshalb ich Dir dringend empfehle, Deine Seele durch Gebete zu stärken, bevor Du Dich an die Lektüre machst. Auch ich habe in den letzten Wochen immer wieder Trost im Herrn suchen müssen, damit mich das Unglück, das nicht nur anderen, sondern mir selbst im Übermaß zustieß, nicht niederwarf und damit ich die Kraft fand, dem Tod und seiner häßlichen Schwester, der Rache, ins Antlitz zu blicken. Denn einen Fall von Blutrache will ich Dir schildern, so ungewöhnlich, daß Du Vergleichbares nicht einmal bei den Chronisten des sechsten und siebenten Säkulums, der Zeit der Finsternis und der Gesetzlosigkeit unter den Merowingerkönigen, finden wirst. O tempora, o mores! {1} möchte man mit einem alten heidnischen Schriftsteller ausrufen und an den Zuständen dieser Welt verzweifeln.
    Was mich dabei am meisten bedrückt: Von Anfang an waren wir, Odo und ich, am Ort des Geschehens, und doch konnten wir das Schreckliche nicht aufhalten. Schlimmer noch: Unser Erscheinen hat alles erst richtig in Gang gesetzt – so wie der Fuß absichtslos gegen einen Stein tritt, welcher den Abhang hinabrollt und einen anderen anstößt, der wiederum einen dritten ins Rollen bringt und so fort. Dabei wollten wir das genaue Gegenteil! Unser Herr Karl, der große König der Franken und Langobarden, hat uns ja ausgesandt, um Ordnung und Frieden zu stiften und dafür zu sorgen, daß die Gesetze beachtet werden. Als Königsboten waren wir seit dem Frühjahr unterwegs, diesmal in entlegenen Reichsgebieten, an den Ufern der Saale und der Unstrut. Gott kann bezeugen, daß wir erfolgreich waren. Wir hatten Grund, mit uns zufrieden zu sein. Da aber führte uns unser Weg zuletzt noch in dieses Unglückstal.
    Hätten wir uns das erspart! Wir hatten ja nicht einmal ein Mandat, sondern es war unser freier Entschluß, die Grafschaft zu besuchen, die eigentlich noch gar keine ist, denn in dieser gottverlassenen Gegend ist es bisher kaum gelungen, unsere fränkische Verfassung durchzusetzen. Die Menschen leben hier fast noch so wie vor zweihundertfünfzig Jahren, als der letzte König der Thüringer sich der fränkischen Übermacht beugen und seinem Thron entsagen mußte. {2} Das störte allerdings bisher niemand, und der Herr Pfalzgraf, der unsere Einsätze lenkt, hatte uns ausdrücklich aufgetragen, uns nur um die höherentwickelten, für die Grenzsicherung und den Handelsverkehr wichtigen Gaue und Grafschaften zu kümmern. Ein so winziges, unbedeutendes Eckchen des riesigen Reichsgebietes konnte vernachlässigt werden. Wir wußten nur, daß ein Herr Rothari, ein alteingesessener Adaling (so nennen sich hier die Edlen), vor ein paar Jahren auf einer Reichsversammlung von König Karl beauftragt wurde, gräfliche Pflichten wahrzunehmen. Ob er es tat, war niemand bekannt, nicht einmal den nächsten Nachbarn. Es gab allerdings auch keine Klagen über ihn. So hätten wir eher Grund gehabt, solche gar nicht erst herauszufordern und ihn und seinen Stamm in ihrer Abgeschiedenheit dämmern zu lassen, bis wenigstens eine Straße durch die Wälder geschlagen war, auf der eine königliche Abordnung bequem und standesgemäß dahinziehen konnte.
    Nun war es indessen gerade diese Straße, um deretwillen wir an dem schönen, warmen Augusttag zu Herrn Rothari unterwegs waren. Es gehört, wie Du weißt, auch zu unseren Aufgaben, die Straßen und Wege zu kontrollieren, wo aber solche nicht vorhanden oder in unzulänglichem Zustand sind, dem dafür verantwortlichen Amtsträger Weisungen zu erteilen. Ein Graf Hademar, den wir zuletzt besucht hatten, ein energischer und dem Fortschritt zugewandter Mann, hatte uns darauf aufmerksam gemacht, daß bisher nichts geschehen sei, um Rotharis Gebiet an die nächste Reichsstraße anzuschließen. Nicht einmal mit Rodungen sei begonnen worden. Dies konnte Nachlässigkeit, aber auch Absicht sein. Wir beschlossen, der Sache nachzugehen. Versteckte Winkel, die kaum einen Zugang haben, sind leichte Beute für äußere Feinde und bevorzugter Unterschlupf von Verschwörern, Deserteuren, Landflüchtigen und Räubergesindel. Wir wollten den Grafen auf diese Gefahren aufmerksam machen und ihn an seine Pflichten erinnern.
    Ein Bote wurde vorausgesandt, um unsere Ankunft zu melden, und Herr Hademar befahl einem seiner Grenzwächter, uns zu führen. Auf kürzestem Wege sollte er uns, das
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