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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Autoren: Robert Gordian
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heißt Odo, mich und die fünf Männer unseres Gefolges, in jenes Gebiet bringen, das ich den Tannengrund nennen will, weil ich dieses prächtige Nadelholz dort in erstaunlicher Artenvielfalt vorgefunden habe. Wie immer, lieber Vetter, bin ich genötigt, Namen von Orten und Personen zu ändern, um jedem Verdacht vorzubeugen, ich könne Amtsgeheimnisse ausplaudern. Zwar weiß ich, daß Du verschwiegen bist und daß Du diesen Bericht nur Brüdern zu lesen gibst, die Dein volles Vertrauen besitzen … aber wer weiß! Ein Judas findet sich überall, um uns Frommen zu schaden, und so könnte ich, sollten die wirklichen Namen genannt werden, leicht meinen schönen Vertrauensposten verlieren. Ihr aber würdet nichts Spannendes mehr zu lesen bekommen, sondern müßtet Euch mit den Schriften begnügen, welche die Abenteuer unserer lieben Heiligen auf der Suche nach Gott schildern.
    Ich erspare es mir, den Weg zu beschreiben. Wie zu erwarten, war eigentlich keiner vorhanden. Es war nur ein Trampelpfad, der bergauf und bergab durch dichten Wald und noch dichteres Gebüsch führte. Mißmutig stapften und stolperten wir dahin, mit Schwertern und Messern wuchernde Zweige abhauend, unsere alle Augenblicke strauchelnden Tiere hinter uns herzerrend. Es gibt keine zweite so wüste und wilde Gegend wie dieses Waldgebirge der Thüringer!
    Plötzlich, am hellen Nachmittag, ist die Sonne verschwunden. Der eben noch makellos blaue Himmel verfinstert sich. Gelbschwarze Wolken ballen sich drohend. Mitten am Tage wird es Nacht. Da und dort zucken Blitze hervor, gefolgt zuerst nur von leisem Grollen, dann von sich näherndem Gepolter, schließlich von ohrenbetäubendem, durch das Echo der Berge vervielfachtem Krachen. Da kommt auch Wind auf, eine Bö jagt die andere, fährt in die Kronen der Bäume, peitscht die Äste. Über und um uns rauscht und braust es. Die ersten Regentropfen spritzen uns in die Gesichter. Der Grenzwächter, unser Führer, schreit uns zu, daß nicht weit entfernt eine Höhle sei, in deren Schutz wir den kommenden Wolkenbruch abwarten könnten. Wir beschleunigen unsere Schritte. Der Trampelpfad windet sich einen Hang hinauf. Seitlich fallen die Wände schroff ab. Wir erreichen den Kamm, folgen der letzten Biegung des Pfades und treten hinaus auf eine Plattform. Doch da fahren wir schon erschrocken zurück. Impetus, Odos Grauschimmel, scheut und steigt hoch.
    Im düsteren Schlund des Höhleneingangs steht reglos eine hohe Gestalt. Sie trägt ein langes, leichenweißes Gewand, das auch ihren Kopf fast völlig verhüllt. Der tobende Wind scheint sie nicht zu berühren. Acht bis zehn Schritte verharren wir vor ihr, unschlüssig, starrend. Dann sehen wir im zuckenden Licht der Blitze, wie die Gestalt den rechten Arm hebt. Und hören, wie sie die folgenden Worte hervorstößt:
    „Der Himmel brennt, und der Boden schwankt,
Feuer und Wasser mischen sich.
Fremde, beachtet das Zeichen, flieht
die Bäume, welche vom Himmel gefallen,
versperrend den Grund, wo die Blutquelle strömt.
Wehe, furchtbare Fehde naht!
Wilder Haß zündet ruchlose Tat!“
    Die schrille Stimme kämpfte gegen das Brausen des Windes. Unwillkürlich schlug ich das Kreuz. Eine Hand krallte sich in den Ärmel meiner Kutte. Herumfahrend blickte ich in das totenblasse Gesicht unseres Dieners Rouhfaz, der stammelte: „Befehlt, daß wir umkehren, Vater! Fort von hier!“ Unser Führer, der Thüring, hatte sich hinter einen Felsblock gekauert.
    Nur einer von unserem Wachtrupp, ein alter Eisenfresser, der den Teufel schon hundertmal am Schwanz gepackt hatte, trat ein paar Schritte vor und rief:
    „He, was willst du von uns? Warum sollen wir fliehen? Platz da, Gespenst!“
    „Zurück, Fulk!“ rief Odo, der alle Kraft brauchte, um seinen schnaubenden Hengst zu halten.
    Aber Fulk hörte nicht oder wollte nicht hören. Mit einem Sprung war er bei der weißen Gestalt. Er packte sie und warf sie zu Boden.
    Sie schrie gellend. Ohne Zweifel, es war eine Frau. Mühsam erhob sie sich und machte ein paar schwankende Schritte. Auch ich rief Fulk den Befehl zu, von ihr abzulassen. Aber er lachte nur höhnisch, und mit einem Ruck riß er ihr das Gewand vom Leibe.
    Im selben Augenblick krachte es hinter uns. Alles war plötzlich in gleißendes Licht getaucht. Eine Kiefer, vom Blitz getroffen, stand da als Riesenfackel mit prasselnder Lohe.
    Unwillkürlich hatten wir alle die Köpfe herumgeworfen. Als ich jetzt wieder zum Eingang der Höhle blickte, bemerkte ich, daß die Frau
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