Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
unseren Schreck benutzt und sich zur Flucht gewandt hatte. Sie eilte in die Höhle hinein, und ich sah sie gerade noch schattenhaft an einer vom Feuer beleuchteten Innenwand forthuschen und verschwinden. Es war ein eigenartig torkelnder Schatten, man konnte meinen, daß die Person sich mit kurzen, grotesken Sprüngen vorwärts bewegte. Neben dem Stein vor der Höhle, auf dem sie gestanden hatte, um größer zu erscheinen, lag noch das weiße Obergewand.
    „Satanshure!“ schrie Fulk ihr nach. „Ich kriege dich noch!“
    Es war aber weder Zeit, die seltsame Warnerin zu verfolgen noch ihren Worten nachzusinnen. Der auflodernde Baum, keine hundert Fuß von uns entfernt, hatte unsere Ordnung vollkommen aufgelöst. Die verängstigten Tiere waren kaum noch zu halten. Zwei Pferde versuchten, den Hang hinab zu fliehen und hätten sich wohl zu Tode gestürzt, wären sie nicht von ihren Herren an Mähnen und Schwänzen gepackt und zurückgerissen worden. Odo hatte den Hals seines Impetus umklammert, und die beiden rasten im Kreis herum. Nur Grisel, mein guter Eselshengst, bewahrte die Ruhe, wie meist in kritischer Lage.
    Schließlich öffneten sich die Schleusen des Himmels, und sintflutartig strömte Regen herab. Wir flohen alle in die Höhle. Allerdings blieben wir in der Nähe des Eingangs in einem breiten, feuchten und kühlen Gewölbe, das größtenteils mit Wasser gefüllt war. Weit hinten schienen mehrere Gänge und Schächte zu münden. In einem von ihnen mußte die Fliehende verschwunden sein. Vielleicht versteckte sie sich dort drinnen, vielleicht hatte die Höhle auch einen zweiten Ausgang. Es fiel aber niemand ein, sich darum zu kümmern. Wir starrten hinaus auf den niederrauschenden Regen und warteten. Nach einer Weile stellten wir fest, daß zwei Mann fehlten: Heiko, der Anführer unseres Wachtrupps, und der Einheimische, der uns hergebracht hatte.
    „Der Kerl ist geflohen“, sagte Fulk, „und Heiko versucht, ihn zu fangen. Feiger Hund, dieser Thüring! Ängstigt sich vor einer lahmen Alten.“
    „Hoffentlich hast du sie nicht beleidigt“, stöhnte Rouhfaz, wobei er seinen Glatzkopf zwischen die spitzen Schultern zog und furchtsam ins Innere der Höhle spähte. „Sie ist vielleicht eine Zauberin und die Herrin des Berges!“
    „Zauberin!“ lachte Fulk verächtlich. „Der hab ich das Zaubern verleidet!“
    „Ja, spotte nur! Der Blitz hat schon neben uns eingeschlagen! Vielleicht stürzt auch noch die Höhle ein!“
    „Dann mach nur schnell, daß du hinauskommst!“ Fulk nahm einen Schluck aus seinem altmodischen Trinkhorn. Rouhfaz zog es allerdings vor, der Gefahr zu trotzen und im Trockenen zu bleiben.
    Odo hatte das weiße Gewand aufgehoben und ließ es durch seine Finger gleiten.
    „Feines Tuch! Woanders gehen die Hexen in Lumpen. Hier scheinen sie im Wohlstand zu leben.“
    „Du glaubst auch, das war eine Hexe?“ fragte ich.
    „Was glaubst denn du? Etwa ein Engel?“
    „Vielleicht war es eine von diesen weisen Frauen, den Seherinnen und Ratgeberinnen. Die soll es hier ja immer noch geben.“
    „Das meine ich doch: eine Zaunreiterin {3} . Die weisen Frauen sind ein bißchen heruntergekommen. Hast du alles verstanden, was sie uns zurief?“
    „Ja.“
    „Nun, was mich betrifft, so habe ich immer noch Schwierigkeiten mit ihrem seltsamen Diutisk {4} . Dazu der Lärm und der Wind … Mir schien, es war eine Warnung. Was wollte sie?“
    Er wartete aber meine Antwort nicht ab, weil noch einmal ein Blitzschlag die Tiere erschreckte. Er mußte sich um Impetus kümmern.
    Du hast Dich vielleicht schon gewundert, lieber Vetter Volbertus, daß ich das Orakel der thüringischen Pythia wörtlich wiedergeben konnte. Ich will mich nicht mit meinem Gedächtnis brüsten. Als Odo mich aber in diesem Augenblick fragte, wiederholte ich im Stillen die Worte und brachte sie wirklich noch zusammen. Um sie nun nicht zu verlieren, nahm ich die Schreibtafel, die ich immer am Gürtel trage, um Wichtiges und Bewahrenswertes gleich zu notieren, und ritzte die Worte in das Wachs. So blieben sie bis heute erhalten, und ich konnte sie in diese Erzählung einfügen.
    Kaum waren Tafel und Griffel wieder verwahrt, hörte der Regen auf, und wir konnten die Höhle verlassen. Es ist eigentümlich für diese Gegend – ich habe es dann noch öfter erlebt –, daß ein Unwetter ebenso plötzlich abzieht, wie es herannaht. Die Wolkendecke zerriß, die Sonne lugte hervor, der Wind flaute ab, und vom Regen blieben nur schmale
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher