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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd
Autoren: Emile Zola
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Kapitel 1
     
    In der Neuen Augustin-Straße waren die Wagen ins Stocken
geraten, wodurch auch die mit drei Koffern bepackte Droschke
aufgehalten ward, die Octave vom Lyoner Bahnhof brachte. Trotz des
kühlen, unfreundlichen Novemberabends ließ der junge Mann ein
Wagenfenster herab. Er war überrascht, wie dunkel es plötzlich ward
in diesem Stadtviertel mit den engen, von Menschen wimmelnden
Straßen. Das Fluchen der Kutscher, die auf ihre sich bäumenden
Rosse einhieben, das drängende Gewühl auf den Fußsteigen, die lange
Reihe der hart nebeneinander befindlichen Kaufläden mit den vielen
Angestellten und Kunden: all das betäubte ihn schier. Er hatte sich
Paris sauberer gedacht und war keineswegs auf einen so regen Handel
gefaßt, der sozusagen zur Befriedigung der weitestgehenden Wünsche
gerüstet schien.
    Der Kutscher neigte sich zurück und fragte:
    Es ist wohl in der Choiseulpassage?
    Nein, in der Choiseulstraße! Ich glaube, ein neues Haus.
    Die Droschke hatte nur um die Ecke zu biegen; es war das zweite
Haus in der Gasse, ein großer, vierstöckiger Bau, dessen steinerne
Vorderseite inmitten des verwitternden Mörtels der alten
Nachbarhäuser eine kaum gerötete Blässe bewahrte. Octave, der den
Wagen verlassen hatte, musterte unwillkürlich dieses Haus, von der
Seidenwarenniederlage angefangen, die das Erdgeschoß und das
Zwischengeschoß einnahm, bis zu den zurückweichenden Fenstern des
vierten Stockwerkes, die sich auf eine schmale Terrasse öffneten.
Der mit einem Gitter aus prächtig gearbeitetem Gußeisen versehene
Balkon im ersten Stock ruhte auf zwei Figuren, die Frauenköpfe
darstellten. Die Einrahmungen der Fenster zeigten eine verwickelte
durchbrochene Terracotta-Arbeit; oberhalb des mit Zieraten noch
mehr überladenen Einfahrtstores waren zwei Liebesgötter angebracht,
die eine Rolle hielten, auf der die Hausnummer – bei Nacht durch
eine von innen angebrachte Gasflamme beleuchtet – zu lesen war.
    In diesem Augenblick trat ein starker, blonder Herr aus dem
Hause, der plötzlich stehen blieb, als er Octave sah.
    Wie, Sie sind's? rief er aus. Ich habe Sie erst für morgen
erwartet.
    Ja, ich habe Plassans einen Tag früher verlassen. Ist vielleicht
das Zimmer nicht bereit?
    Doch; ich habe es vor zwei Wochen gemietet und auch sogleich
möbliert, wie Sie es verlangten. Ich will Sie einführen.
    Trotz der Einsprache Octaves kehrte er ins Haus zurück. Der
Kutscher hatte inzwischen die drei Koffer vom Wagen geholt. In der
Hausmeistersloge stand ein Mann von würdevollem Aussehen mit einem
langen, rasierten Diplomatengesicht und las den »Moniteur«. Er
geruhte indessen, sich im Lesen zu unterbrechen, als er sah, daß
unter dem Haustore Koffer abgeladen wurden. Er trat näher und
richtete an seine Wohnpartei, den »Architekten vom dritten Stock« –
wie er ihn nannte – die Frage:
    Ist das die Person, Herr Campardon?
    Ja, Herr Gourd, das ist Herr Octave Mouret, für den ich das
Zimmer im vierten Stock gemietet habe. Er wird dort schlafen und bei uns speisen. Herr Mouret ist ein
Freund der Familie meiner Frau. Er sei Ihnen bestens empfohlen.
    Octave blickte sich in der Toreinfahrt um. Die Wände waren mit
unechtem Marmor verkleidet, das Deckengewölbe mit Rosetten geziert.
Der gepflasterte Hof machte den Eindruck der Sauberkeit und kühlen
Vornehmheit; vor der Stalltüre war ein Kutscher damit beschäftigt,
mit einem Fell ein Pferdegebiß zu putzen. Offenbar verirrte sich
niemals ein Sonnenstrahl in diesen Raum.
    Mittlerweile hatte Herr Gourd die Koffer gemustert. Er hatte mit
dem Fuße daran gestoßen und ihr Gewicht schien ihm Achtung
einzuflößen. Er sagte, er wolle einen Dienstmann holen, der die
Koffer über die Dienstbotentreppe hinaufschaffe.
    Dann rief er in die Loge hinein:
    Ich gehe fort, Frau Gourd.
    Diese Loge bestand zunächst aus einem kleinen Salon mit hellen
Spiegelscheiben; den Boden bedeckte ein Plüschteppich mit roten
Blumen; die Möbel waren von Mahagoniholz. Durch eine halboffene Tür
bemerkte man einen Teil des Schlafzimmers, wo ein Bett mit roten
Ripsvorhängen stand. Frau Gourd, sehr dick, mit einer
bändergezierten Haube auf dem Kopfe, lag in einem Sessel
ausgestreckt, die Hände müßig über den Bauch gekreuzt.
    Kommen Sie mit hinauf! sagte der Architekt.
    Er öffnete die aus Mahagoniholz gezimmerte Türe des Vorraumes,
und da er merkte, daß die schwarze Samtmütze und die hellblauen
Pantoffel des Herrn Gourd auf den jungen Mann einen lebhaften
Eindruck gemacht
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