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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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    ERSTES BUCH
    In stummen Gefilden
    Vatermord
    Noch in dem denkwürdigen Jahr, als die berühmte Berliner Mauer fiel, stieß man unweit der verwitterten Marmorstatue der Königin Luise auf eine Leiche. Ein paar Tage vor Weihnachten trug sich das zu.
    Die Leiche war die eines gepflegten Mannes um die fünfzig, alle seine Sachen waren vom sogenannt Feinsten. Dem ersten Eindruck nach war er jemand von Ansehen, ein Bankier oder Manager. Schnee rieselte langsam, aber es war nicht so kalt, dass er liegen blieb, auf den Wegen im Park schmolz er gleich, nur an den Grashalmen hielt er sich. Die Ermittler gingen vorschriftsmäßig vor und arbeiteten wegen der Witterungsverhältnisse zügig. Sie sperrten die Umgebung ab und durchsuchten das Gelände systematisch, indem sie im Uhrzeigersinn spiralförmig nach innen vorrückten, um die Spuren zu sichern und aufzunehmen. Hinter einem aus schwarzer Plastikfolie improvisierten Sichtschutz entkleideten sie die Leiche vorsichtig, fanden aber keine Spuren von Gewalteinwirkung.
    Der Tote war von einem jungen Mann entdeckt worden, der immer vor Tagesanbruch hierher zum Laufen kam. Er war der Einzige, der befragt werden konnte. Als er mit dem Laufen begonnen hatte, war es noch völlig dunkel gewesen, er lief fast jeden Tag dieselbe Strecke zur selben Zeit.
    Wenn das nicht der Fall, nicht alles Routine und Gewohnheit gewesen wäre, wenn sich ihm nicht schon ein jeder Stein, ein jeder Schatten ins Gedächtnis geschrieben hätte, wäre ihm die Leiche wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Das Licht entfernter Lampen drang kaum bis hierher. Den auf der Bank liegenden, halb herabhängenden Körper habe er dennoch bemerkt, erklärte er den Polizisten aufgeregt, weil auf dem dunklen Mantel ein wenig Schnee liegen geblieben sei.
    Und wie er da gleichmäßig laufe, blitze ihm etwas wie von der Seite in sein Blickfeld, sagte er viel zu laut.
    Während er redete, machten sich innerhalb der Absperrung gleichzeitig mehrere Männer zu schaffen. Sie arbeiteten unter ideal zu nennenden Bedingungen, um diese Zeit hielt sich außer ihnen keine Menschenseele im Park auf, es gab keine Schaulustigen. Einer fotografierte mit Blitzlicht etwas auf dem nackten, durchweichten Boden, das zuvor schon von zwei Kriminaltechnikern ausnummeriert worden war.
    Als der junge Mann zum dritten Mal mit seiner Geschichte anfing, wurde er nervös gewahr, dass bereits sämtliche Spuren markiert worden waren, und das erfüllte ihn mit einer Beklemmung, als hätte er nicht die Leiche entdeckt und Meldung erstattet, sondern als wäre er der Täter und würde jetzt mit den Indizien konfrontiert.
    Es war wie eine Schneide, wobei er nicht hätte sagen können, was für eine Schneide, vielleicht eine Messerklinge oder die Kälte des Gedankens, aber das erwähnte er nicht.
    Tatsächlich war sein erster Gedanke gewesen, dass er seinen eigenen Vater ermordet hatte. Wie war es denn möglich, dass er so etwas dachte, dass er den Tod dieses Menschen wünschte, das verstand er nicht und sprach es auch vor den Polizeibeamten nicht aus.
    Es blieb kaum noch etwas übrig, worüber er hätte sprechen können.
    Man beachtete ihn sowieso nicht weiter, die Polizisten, in Zivil und in Uniform, liefen hin und her und murmelten manchmal halblaut etwas vor sich hin oder warfen sich Sätze zu, die er nicht verstand.
    Sie hielten ihn nicht länger auf, er hatte ja seine Personalien schon zweimal angegeben, und man hatte auch zu Protokoll genommen, dass er zu einer späteren Zeugenaussage bereit sei, aber er konnte sich nicht losreißen.
    Um ihn herum lösten sich die Beamten ab.
    Wenn er laufe, schaue er eigentlich nirgendhin, auf nichts, wiederholte er erregt seinen Bericht, er denke nichts. Psychologisch gesehen sei gerade das die Essenz des gleichmäßigen Laufens. Aber wie er nach etwa zwanzig Minuten ein zweites Mal an der Bank mit dem darauf liegenden Körper vorüberlaufe, erinnere er sich, dass Schnee nur auf einer erkalteten Leiche auf diese Art liegen bleiben kann.
    Das habe er irgendwo gelesen. Und da habe er angehalten, um genauer nachzusehen.
    Im Berliner Tiergarten ist wirklich schon viel geschehen, besser gesagt, es kann kaum noch etwas geschehen, das nicht schon vorgekommen wäre. Die Polizeibeamten hörten sich seinen Bericht ziemlich gleichgültig an, einer verzog sich auch gleich mit seiner Plastiktüte, um die Arbeit fortzusetzen, kurz darauf blieb ein Dritter bei ihnen stehen, den dann die anderen sich selbst
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