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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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eines Tröpfelns oder eines kleineren Ergusses. Auf der Stoffhose würden sie auch noch nachsehen müssen. Er sah die spitze, sehr scharfe Nagelschere, die das kleine Etikett mit einem Schnitt entfernt hatte, fast vor sich.
    Dieser Mensch hatte sich zwanghaft bedeckt gehalten, und wahrscheinlich war er dauernd auf sein Ende gefasst gewesen.
    An seinem dünnen, knochigen Handgelenk keine Spur einer Uhr, er hatte auch keine Ringe getragen. Trotzdem hielt ihn Kienast eher für verheiratet als für ledig. Sonst hätte er mehr Mut zu seiner Leidenschaft gehabt und unter der dezenten Kleidung wohl keinen Slip, sondern eher einen
jock strap
aus weißem oder rotem Satin getragen. In seiner weichen, schwarzen Lederbrieftasche hatte sich erstaunlich viel Geld befunden, aber nichts Persönliches. Was ebenfalls dafür sprach, dass er auf käuflichen schnellen Sex aus gewesen und ihn billiger als erwartet bekommen hatte. Eigentlich verrieten seine schwarzen geschnürten Halbschuhe als Einzige etwas, wenn auch nicht über den Besitzer, so doch über sich selbst; italienische Schuhe, eine der solidesten Marken. So gediegene italienische Schuhe gibt es nur in London zu kaufen. Und dann war da noch etwas, womit Dr. Kienast zunächst nichts anzufangen wusste, der durchdringende Duft des nackten Körpers. Kein unangenehmer Duft, eher ein angenehmer. Eine Art schwüler weiblicher Duft, den er irgendwo, vor gar nicht so langer Zeit, aus größter Nähe wahrgenommen oder sogar genossen hatte.
    Zumindest hatte ihn ein Hauch angeweht, ein angenehmer Hauch.
    Möglich, dass es ihn an einen anderen, ähnlichen Duft erinnerte, den aber vermochte er nicht mehr heraufzubeschwören. Ein Frauenduft, um einiges süßer und schwerer als ein gewöhnliches Männerdeodorant, Parfüm oder Aftershave, er strömte nicht nur aus den Kleidungsstücken des Mannes, sondern ging auch von seinem Körper aus.
    Der Körper würde mindestens noch eine halbe Stunde brauchen, bevor er völlig erkaltet war, bis dahin würde sein Duft leben. Dr. Kienast war stark versucht, ihn wie ein Polizeihund abzuschnüffeln. Er getraute sich nicht, aber aus beruflicher Neugier konnte er der Anziehung des toten Körpers auch nicht widerstehen. Er schnupperte in die Luft, es schien ihm, als dringe ein bitterer Geruch von abgestandenem Tabak durch den überdrehten Duft. Vielleicht hatte er doch eher Angst vor einem solchen Parfüm. Aber seine momentane Feigheit amüsierte ihn auch.
    Kein Zweifel, an den Fingern des Toten die gelblich braunen Verfärbungen, die auf leidenschaftliches Rauchen weisen.
    Trotzdem hatte man weder Zigaretten noch ein Feuerzeug oder Streichhölzer bei ihm gefunden. Unter der Bank hingegen einen Schlüsselbund in einem schwarzen Lederetui.
    Der Körper selbst war sauber und unberührt. Unberührt, das war das erste Wort, das Kienast eingefallen war, als man die Leiche, noch da draußen, vor ihm entkleidet hatte und er im Licht der Scheinwerfer die vorsichtig ausgezogenen Sachen hin und her zu wenden begann. Auch deshalb war der Duft so auffällig. Da lag der Körper eines Menschen vor ihm, der wahrscheinlich nur zögernd jemanden oder etwas berührt hatte, was unter Fetischisten nicht selten vorkommt. Die geben nur ihren stärksten Trieben oder intensivsten Anziehungen nach. Nicht miteinander, nicht mit dem anderen treten sie in Beziehung, sondern mit den symbolischen, den Körper des anderen repräsentierenden Gegenständen. Ganz anders als die gewöhnlichen Egoisten, die auch in der Gegenwart anderer nur mit sich selbst beschäftigt sind.
    Während er den fast haarlos glatten, wohlproportionierten Körper betrachtete, dachte Kienast plötzlich, dass das ein trockener Mensch gewesen war. Er war auf die Begriffe der körperlichen Trockenheit oder Feuchtigkeit zum ersten Mal gestoßen, als er sich für seine Dissertation mit den Ermittlungstechniken der Antike beschäftigt und Originaltexte über die griechische Heilkunst gelesen hatte. Zu trockenen Menschen passt eine solche Todesart nicht. Laut Galen ist der Herzanfall die Todesart des feuchten oder nassen Menschentyps.
    Auch konnte er den flüchtigen Gedanken nicht abweisen, dass das nicht der Duft des Mannes war, nicht sein Parfüm, dass er nicht passte, dass er in seinen letzten Stunden von einem anderen Körper an ihm haften geblieben war.
    Von einem Seitensprung bringt man immer einen fremden Duft mit nach Hause, der nicht zu einem passt. Da kann man sich noch so lange duschen, einseifen, abschrubben,
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