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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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jetzt an seiner Trainingshose.
    Und darüber versiegte der Wortschwall. Als sei ihm plötzlich bewusst geworden, dass es niemanden interessierte, was immer er berichten mochte. Die Übrigen, so auch der Kommissar, beschäftigten sich mit den Details auf einer anderen Ebene, in einer anderen Tonart.
    Nicht mit ihm, nicht mit seinem Bericht.
    Seit einiger Zeit lief er in eng anliegenden kleinen Hosen, in gelben oder roten aus glänzendem Stoff, und der Blick des Kommissars setzte die Untersuchung jetzt an seinen Oberschenkeln fort, besonders auf seinem Geschlechtsbereich.
    Was so grob war, ihn so bis ins Mark hinein traf, dass er auf den Menschen, der ihm in diesem nackten frühmorgendlichen Park gegenüberstand, endlich aufmerksam wurde, während um sie herum friedlich der Schnee rieselte. Aufmerksam auf die Lippen des Kommissars, seine Augen, seine auffällig dichten, hoch geschwungenen Brauen, auf alles, was er bisher auch schon flüchtig wahrgenommen hatte, seine Stirn, sein wirr gekräuseltes Haar, seine gutmütige Ausstrahlung. Ein Mensch, der ihn eindringlich, fast bekümmert ansah, als wisse er alles von ihm. Als unterziehe er im Rückblick und im Voraus seine verborgensten Geheimnisse einzeln einer Prüfung und täte das sogar mit Anteilnahme. Doch dem Kommissar in seiner großen Zerstreutheit war bloß in den Sinn gekommen, was er einige Tage zuvor im Wartezimmer seines Zahnarztes in irgendeinem dummen Magazin gelesen hatte, nämlich dass sich in Deutschland jedes Jahr siebzehntausend Studenten in Philosophie und zweiundzwanzigtausend in Psychologie einschreiben. Was bedeutet, dass pro Generation rund zehn Millionen mit der Mechanik des Geistes und der Seele befasst sind, mithin eine ansehnliche Anzahl, auch wenn sich ein Vielfaches mit Handel, Finanzen und Militär beschäftigt.
    Der junge Mann war verstummt, er spürte, dass der Kommissar von ihm und seinen wissenschaftlichen Interessen nicht viel hielt, sein verfluchter Körper in der verschwitzten Trainingshose zitterte jedoch weiter.
    Er lieferte sich aus.
    Der Polizist seinerseits, rund zehn Jahre älter und mit abgeschlossenem Jurastudium, fragte in der plötzlich entstandenen Stille rasch, ob sie ihn nach Hause bringen sollten, und fügte noch rascher hinzu, sie würden das gern tun. Wenn er die Decke schon nicht wolle. Es wäre ihnen nicht recht, wenn sich der einzige Augenzeuge erkälte. Er benutzte den Plural wie einen Schild, nicht er sprach, nicht er machte dieses Angebot, sondern die Einheit. Aber es war doch nur er, der ihn hinter diesem Schutzmantel hervor durchdringend ansah. Als wären da kriminologisch gesehen verdächtige Zonen, die er erforschte. Oder als nähme er aus der beruflichen Deckung heraus den anderen Massenmenschen jetzt einmal so richtig in Augenschein.
    Kein Wunder, dass der junge Mann das freundliche Angebot ablehnte.
    Dieser Mann hatte unmerklich etwas mit ihm getan, ihn erfasst und eingeordnet, und war vielleicht im nächsten Augenblick zu allem fähig. Er sah eine freie Stirn, lockiges dunkles Haar, das irgendwie seinen Blick fesselte, große, volle weiche Lippen. Er musste auf der Hut sein. Mit einer einzigen Bewegung, eigentlich ziemlich ungehobelt, wies er das Angebot zurück, bloß weg hier, dachte er dabei, aber wenigstens stimmlich hatte er sich jetzt unter Kontrolle.
    Er sagte, falls er noch benötigt werde, stehe er ihnen während der Festtage in keinem Fall, danach aber erneut zur Verfügung.
    Das interessierte den Polizisten ganz offensichtlich nicht. Allerdings wäre ihm lieber gewesen, wenn der junge Mann das Angebot nicht zurückgewiesen hätte. Seine Personalien waren zwar aufgenommen, mit der Meldung war auch seine Stimme registriert, aber er hatte nichts dabei, um sich auszuweisen. Da kein unmittelbarer Verdacht vorlag, konnte man das auch nicht von ihm verlangen.
    Er fahre morgen nach Hause, fügte der junge Mann verlegen hinzu.
    Bei jedem Wort klapperten seine Zähne, er hörte es selbst.
    Demnach leben Sie in Berlin, bemerkte der Ermittler rücksichtsvoll, sind aber woanders zu Hause.
    Der junge Mann begriff nicht, wie einen der eigene Körper so im Stich lassen und demütigen kann.
    Auch dafür hatte der Detektiv vielleicht einiges Verständnis, er bedankte sich für die äußerst wertvolle Hilfe, sie nickten sich zu.
    Berlin ist nur vorübergehend mein Wohnort, sagte, auf seine Zähne achtend, der Student, als müsse er sich für so viel Verständnis doch erkenntlich erweisen.
    Sie schienen sich aus
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