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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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überließen. Der junge Mann hingegen konnte sich nicht beruhigen. Auch diesem neuen Beamten erzählte er seine Geschichte so, als gehörten zu jeder Einzelheit weitere hundert Einzelheiten, als erheische jeder Satz eine Erklärung und als enthülle er mit jeder Erklärung ein hochbrisantes Geheimnis, während er seine eigenen Geheimnisse für sich behielt.
    Er fror nicht, trotzdem zitterte er am ganzen Leib. Der Zivilbeamte bot ihm eine Decke an, er solle sie sich umlegen, aber er wies sie mit einer gereizten Handbewegung zurück, wie jemand, den der Zustand seines Körpers, ein wahrscheinlicher Schnupfen oder das täppische, peinliche Zittern, jetzt gerade nicht im Geringsten interessiert. Er hatte wohl, was einem Polizisten sicher nicht unbekannt ist, eine Art Nervenfieber. Offensichtlich war er sich auch nicht bewusst, wie er wirkte. Er machte keinen guten Eindruck, das spürte er bis zu einem gewissen Grad selbst, und es veranlasste ihn, alles noch detaillierter vorzutragen. Trotzdem musterte dieser Polizist wohlwollend, fast schon liebevoll seine aufgewühlten Züge, ja auch seine ganze Gestalt, jedes einzelne Glied, jede Geste, und er überlegte sich, ob er ihn für cholerisch oder eher für asketisch halten sollte, für überdurchschnittlich intelligent und sensibel oder eher für einen gewöhnlichen Stadtneurotiker, der sich nur mit sich selbst beschäftigt.
    Wie jemand, der so ausgehungert ist nach Reden, dass er damit von jetzt bis zum nächsten Tag nicht mehr aufhören würde. Wie jemand, der noch nie irgendetwas erlebt hat, jetzt aber steckt er endlich mittendrin, jetzt kommt das große Abenteuer. Wie jemand, dem man nichts Geringeres anvertraut hat als das Geheimnis des Universums.
    Er erregte Mitleid und eine gewisse Besorgnis. Am Ende konnte er nur noch mit diesem Beamten reden, den aber nahm er regelrecht in Beschlag, mit seinen fiebrigen Worten, seinen heftigen, wenn auch halbwegs beherrschten Gesten, seiner schwer einzuordnenden seelischen Struktur.
    Nachdem der Polizist Körper und Kleidung des jungen Mannes systematisch mit dem Blick abgesucht hatte, erschien er ihm so durchschnittlich, dass es schwerfiel, auf seine soziale Stellung zu schließen, und deshalb erkundigte er sich, welche Universität er denn besuche, was er studiere, und fügte listig hinzu, er frage nicht berufshalber, sondern einfach so, privat. Eigentlich war er zu solchen Fragen nicht berechtigt. Nach seiner Erfahrung ließen sich aber solche sinnlosen und krankhaften Wortschwalle manchmal mit ein paar harmlosen Bemerkungen stoppen. Der Tod eines Unbekannten löst sogar bei Menschen von pyknischer Konstitution regelrechte hysterische Anfälle aus. Gleichzeitig war aber die Frage nicht rein formal gemeint, sondern es begann ihn zu interessieren, wieweit sich der junge Mann durch so eine beiläufige Frage manipulieren und von seiner Selbstverliebtheit ablenken, oder eben, wie leicht er sich einfangen ließ. Wie gefügig er war. Der Beamte gehörte zu den gründlich geschulten Fahndern, die es in der Regel vermeiden können, von einem unerwartet starken Eindruck oder von Phantasien auf eine falsche Fährte geführt zu werden, aber er hatte nicht der Versuchung widerstehen können, wenigstens mit einer provozierenden Frage ein Experiment zu starten.
    Doch das richtige Maß lässt sich, sei es in der Anfangsphase der Ermittlung, die im Polizeijargon Erster Angriff heißt, oder auf dem Höhepunkt der Untersuchung, wenn die Ergebnisse zwar noch nicht feststehen, aber doch schon eine Art Bild ergeben, so oder so nicht halten. Manchmal stellte er kleine Fallen. Ermittler seines Typs schätzen die eigene Intuition doch höher ein als die allgemeinen kriminalistischen Regeln, nach denen die weniger mutigen Kollegen verfahren. Sie sind einfallsreicher, ihre Methoden haben allerdings zuweilen auch etwas Willkürliches. In der Fachsprache würde man sagen, dass sie gegenüber dem syllogistischen Verfahren dem heuristischen den Vorzug geben, was hin und wieder sogar dazu führt, dass sie die Gesetze übertreten.
    Tatsächlich blieb der junge Mann unter der Wirkung der unbeteiligten Nachfrage in seinem Satz stecken; er studiere Philosophie und Psychologie, sagte er überrascht. Während er antwortete, überlegte er sich, was der Polizeibeamte wohl an ihm beobachtete oder was ihm aufgefallen war.
    Hätte ich mir denken können, sagte der Beamte gleichmütig.
    Was beobachtet der an seinem Hals, und was ist ihm an seinem Trikot aufgefallen, und
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