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Dunkle Seelen

Dunkle Seelen

Titel: Dunkle Seelen
Autoren: Gabriella Poole
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PROLOG
    Es war keine Routine.
    Lächelnd sah Yusuf Ahmed das Mädchen auf dem samtenen Sofa an und in seinen hungrigen Augen stand weit mehr als das einfache Verlangen eines Jungen nach einem Mädchen. Mit einem Finger fuhr er ihr über die Wange und zog eine sanfte Linie zu ihrem Kinn. Spannte sie und sich selbst auf die Folter, spürte, wie der Hunger wuchs, und genoss es.
    »Noch einen Raki?« Er hielt ihr die Karaffe hin.
    »Ich glaube, ich habe schon genug«, antwortete sie herausfordernd.
    Er lachte leise. Ja, dachte er. Ja, ich denke, da hast du wahrscheinlich recht.
    Yusuf wich einen kleinen Schritt zurück. Das Warten in die Länge zu ziehen, versetzte ihm einen masochistischen Kick. Er hatte Hunger, aber nicht so großen, dass er es überstürzen würde.
    Durch das offene Fenster drang die laue Nachtluft herein. Er warf einen Blick nach draußen und bestaunte die atemberaubende Aussicht, die sich ihm bot: der Mond stand über dem Bosporus, die Lichter eines Kreuzfahrtschiffs glitzerten wie Diamanten an einer Halskette. In der dunstigen, warmen Luft glänzten die Kuppel und die hoch aufragenden Minarette der Blauen Moschee wie Quarz.
    Sie erinnerte ihn vage an Sacre Coeur im letzten Herbsttrimester in Paris, als alles sich verändert hatte. Als sich das Blatt zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit gegen die Auserwählten gewendet hatte. Als dieses verwahrloste Gossenkind, diese Stipendiatin Cassie Bell, in der Akademie aufgetaucht war. Als sie schockierender-weise von Estelle Azzedine auserwählt und dann über  listet worden war, der neue Wirt zu werden, den die alte Frau für ihren mächtigen Geist benötigte.
    Jetzt wünschte er sich, er hätte nichts damit zu tun gehabt... obwohl er sich noch immer mit einiger Wonne an den Schauder der Erregung, den er bei der Vereinigungszeremonie verspürt hatte, entsann. Das Gefühl von Arroganz und Macht und die Überzeugung, ein Recht darauf zu haben. Er erinnerte sich lebhaft an den Zorn der kleinen Bell, als sie sie festgehalten und Estelles Gnade ausgeliefert hatten, und er erinnerte sich auch an das un-erwartete Mitleid — und die Furcht —, die plötzlich in ihm aufgekommen war. Und zwar weil es so schnell schief  gegangen war. Das Vereinigungsritual war unterbrochen worden; ein Teil von Estelles Geist hatte sich mit Cassie vereint, ein Teil blieb ausgesperrt, draußen in der Leere. Die Auserwählten waren so fassungslos gewesen, als sei eine Bombe in ihrer Mitte hochgegangen.
    Yusuf schüttelte den Kopf. Inzwischen war ein weiteres Trimester vergangen — in New York — und jetzt hatte wiederum ein neues angefangen, und das Mädchen, Cassie, schien sich daran zu gewöhnen, eine der Auserwählten zu sein. Tatsächlich freute ihn das. Es freute sie alle. Oder zumindest die meisten von ihnen... Wer konnte also sagen, ob das Ganze nicht doch noch eine positive Wendung für die Auserwählten nahm? Ihn selbst eingeschlossen.
    Er machte die Augen zu und atmete die warme Luft ein, die gewürzt war von Nachtblumen, Meeresbrise, Benzinabgasen und Kohlerauch. Mein Gott, hier würde es ihm gefallen. Es war sein letztes Trimester an der Akademie, was ihn sowohl mit leisem Bedauern als auch mit Erwartung erfüllte.Vor ihm erstrahlte seine Zukunft voller Wohlstand, Erfolg und Einfluss. Wie hätte es auch anders sein können? Aber trotzdem, er würde die Kameradschaft vermissen, die Geheimnisse, die Macht, die es mit sich brachte, einer der Auserwählten an der Akademie zu sein. Er hatte Spaß gehabt.
    Eine Hand berührte ihn sacht am Arm. Yusuf drehte sich zu dem Mädchen um, und plötzlich empfand er schmerzhaft die Schönheit der Nacht und seine hungrige Sehnsucht.
    Sie blinzelte. Ihr Blick war bereits ein wenig verschwommen und entrückt, und auf ihren Lippen lag ein zitterndes Lächeln, beinah als habe sie halb vergessen, dass es dort war.
    Gut...
    Er stellte sein Glas beiseite und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. Mit ihrem goldenen, herzförmigen Gesicht und den großen, dunklen Augen sah sie ein  fach zum Anbeißen aus. Ihre Lippen teilten sich und sie stöhnte leise auf. Vielleicht war es ein Ausdruck von Begehren oder von Verwirrung. Aber Yusuf kümmerte es nicht länger. Sie hatte getrunken, was er ihr angeboten hatte. Sie würde sich nicht erinnern.
    Für einen kurzen Moment zögerte er noch. Es war verboten, sich auf diese Art und Weise zu nähren. Es war zu gefährlich. Aber genau deswegen war es auch so erregend und unwiderstehlich. Und wenn
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