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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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Ich glaubte einige schreckliche Stunden durchlebt zu haben und war überzeugt, daß ohne die Entschlossenheit des Kapitäns, der Williams den riskanten Befehl gab, sich vom Sicherungsseil loszulösen, die Expedition von einem tragischen Unglück getroffen worden wäre. In diesem Augenblick empfand ich eine maßlose Hochachtung für den Kapitän. Später erfuhr ich, wie es zu diesem Unfall gekommen war. Die Besatzungen der Lastschiffe lösten sich jeden Tag ab. Mit frei gleitenden Verschlußhaken am Verbindungsseil befestigt, schwammen die Männer in Raumanzügen von den Lastschiffen zum Mutterschiff. Waux, der bereits während der Ausbildung durch eine Serie geringfügiger Unfälle als ausgesprochener »Pechvogel« bekannt war, hatte den Haken am Verbindungsseil schlecht gesichert. Im Augenblick, als er sich leicht abstieß, um zum Mutterschiff zu gelangen, bemerkte er, daß er nicht angeseilt war. Im Bestreben, zurück zum Last- schiff zu gelangen, strampelte er mit den Füßen, und gerade diese Bewegung stieß ihn vom Rumpf des Lastschiffes weg in den kosmischen Raum. Wie er mir später erzählte, erinnerte er sich in diesem Augenblick daran, daß ihn die Kameraden an diesem dreizehnten Tag vor einer großen Unannehmlichkeit gewarnt hatten. Plötzlich überfiel ihn angeblich ein schicksalhaftes Angstgefühl. »Ich wußte, daß die Pistole versagen würde«, sagte er mir.
    »Aber sie war doch in Ordnung«, wandte ich ein. »Nur die Sicherung ging etwas schwerer als normal.« Waux lächelte. »Normal? Was ist da draußen normal? Du bist doch Psychologe und weißt, daß der Mensch das Recht hat, sich hier und da anormal zu verhalten.«
    Williams wurde für seinen Mut ausgezeichnet. Waux wurde wegen fahrlässiger Erfüllung der Sicherheitsvorschriften bestraft und durfte bis auf Abruf nur Hilfsdienste leisten. Das unglückliche Ereignis hatte noch eine andere Seite - und die halte ich für die interessanteste. Im Augenblick, als das Signal ertönte »Mann über Bord«, befanden sich in der Führerkabine der Kapitän Norton, O'Brien und der Radiotechniker Jenkins. Als der Kapitän Williams den Befehl gab, sich vom Seil loszulösen, konnte sich O'Brien nicht beherrschen und seufzte: »Mein Gott, ist das ein Hasard!« Jenkins erzählte mir, daß der Kapitän in diesem Augenblick eine Miene wie eine Statue aus Stein bekam. Als die Rettungsaktion beendet war, sagte der Kapitän zu O'Brien: »Ja, es war ein Hasard. Und die einzige Lösung. Übernehmen Sie den Dienst!« Dann ging er in seine Kabine.
    Später hat sich O'Brien in der Anwesenheit von Jenkins beim Kapitän entschuldigt. Der Kapitän dankte und erwiderte kühl: »Aber das ist doch überflüssig. Es war wirklich ein Hasard.« Dann vertiefte er sich in das Studium der Navigationstabellen.
    Seit diesem Tag hatte es den Anschein, als wären wir in den Bereich böser Kräfte geraten. Etwas Unbekanntes lauerte in der toten Wüste um uns. Es drang durch die mit Panzerglas ausgefüllten Luken in das Innere der Schiffe, es drang nach innen wie ein Gas oder ein Fluidum, gegen das es keinen Schutz gibt. Ich ahnte, was es war: der tückische Bazillus der Weltraumkrankheit, der besonders im künstlichen Milieu der engen Kajüten, des immer gleichen Lichtes, des eintönigen Aufblitzens, Knackens und Summens der Instrumente, in der immer gleichen Bewegung der Menschen, in ihren gleichen Worten Nährboden findet.
    Das erste Zeichen dieser Krankheit entdeckte ich eines Abends bei Morphy. Wir spielten nach dem Abendessen im Klub eine Partie Schach. Dabei verwendeten wir kleine magnetische Figuren auf einem metallenen Schachbrett. Als Morphy zum zweitenmal verspielte, schleuderte er die Figuren vom Schachbrett und schrie wütend: »Diese Figuren sind so unmöglich klein. Ist denn hier nicht Platz genug für ein ordentliches Schachspiel?«
    Ich wußte, wie ansteckend das war. Noch an diesem Abend hielt ich im Einverständnis mit dem Kapitän im Klub einen improvisierten Vortrag über das Thema der bekannten Unterseebootkrankheit. Ich dachte dabei an eine Art geistiger Desinfektion. Ich wollte in etwas salopper Form auf die ernste Gefahr aufmerksam machen, die uns bedrohte, falls wir uns vom Milieu und von trüben Erwägungen deprimieren ließen. Das Mikrophon war auf Drahtempfang eingestellt, so daß man mich in allen Räumen des Konvois hören konnte. Dank McKinleys treffenden Zwischenbemerkungen, mit denen er meine oft unvollkommen ausgedrückten Gedanken präzisierte, fiel der
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