Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
Vom Netzwerk:
Dabei hatten wir noch nicht einmal die Hälfte des Fluges zurückgelegt.
    Der feierliche Abend zu Ehren des hundertsten Flugtages gelang überhaupt nicht. Einerseits deshalb, weil er allzusehr einem gewöhnlichen Klubabend glich, und andererseits, weil am Hauptthermostat, der die Temperatur in den Räumen desMutterschiffes regulierte, ein Defekt eingetreten war. Innerhalb einer Stunde sank die Temperatur von zwanzig auf fünfzehn Grad. Der für diese Art von Instrumenten verantwortliche Silcott schwitzte ein wenig, als er die Ursache der Störung suchte. Es mußte auf den Reservekreis umgeschaltet werden. Wäre es nicht gelungen, den Defekt zu beheben, und hätte auch die Ersatzeinrichtung versagt, dann würde die Wärmeisolation des Mutterschiffs dem kosmischen Frost nicht lange standhalten können.
    Es war verblüffend, wie dieser Umstand auf die gesamte Besatzung einwirkte.-Niemand sprach ein Wort. Alle schienen wie geistesabwesend, als würde jeder die Bestandteile zählen, in denen ein verborgener Fehler erscheinen, ein geringfügiger Mangel, ein böswilliger Kobold verborgen sein könnte. Nach eineinhalb Stunden meldete Silcott die Beseitigung des Schadens. An einem der Schalter war die Isolation beschädigt. Alles war wieder in Ordnung - soweit man nicht an die hunderttausend Bestandteile denken mußte, von denen unser aller Leben abhing.
    Mehr als die Stahlnerven und ihre verborgenen Krankheiten bereitete mir das feine Gewebe der menschlichen Gehirne Sorgen. Ich hatte den Eindruck, daß die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Expeditionsmitgliedern eine irgendwie typisierte Form annahmen, fast würde ich sagen, eine Roboter-Ähnlichkeit. Wir benahmen uns zueinander korrekt. Aber nicht mehr.Ich stellte fest, daß es mir schwerfiel, jemanden anzulachen. Auch hatte ich gar nicht das geringste Bedürfnis, mir von. irgend jemand eine Liebenswürdigkeit erweisen zu lassen. Ich erfüllte meine Pflicht und nicht mehr. Es ermüdete mich, besonders intensiv nachzudenken. Von Zeit zu Zeit versuchte ich dieser Stumpfheit durch autopsychische Analyse zu entrinnen. Sie ging aber nicht in die Tiefe. Nach all diesen Versuchen blieb nur ein unangenehmer Druck im Kopf und eine dauernde Niedergeschlagenheit aufgrund des bedrückenden Gefühls, daß etwas nicht in Ordnung sei. Wir brauchten einen anderen Rhythmus.
    Diese Änderung kam, doch leider nicht als erfrischender Regen nach einem schwülen Tag, eher als drohendes Gewitter. Von der Erdzentrale kamen neue Berechnungen für eine weitere Korrektur der Flugbahn. Aus dem Lautsprecher waren die Stimmen des Kapitäns und der Mechaniker zu hören. Lange Zahlenreihen, Zeitmeldungen, Befehle und ihre Wiederholungen. Dann schössen Flammen aus den Düsen. Das eigentliche Korrekturmanöver dauerte meist nur einige Sekunden. Ich betrachtete durch ein Sehloch die Sterne. Aus ihrer Bewegung erkannte ich, wenn die Motoren einsetzten. Da begann die Signaleinrichtung zu summen. Ich hörte ein paar Meldungen, die ich nicht verstand. Doch die Bewegung der Sterne im Sehloch hörte nicht auf. Im Gegenteil, sie wurde immer schneller. Jetzt erschien auch die Sonne im Sehloch, beschrieb einen Bogen am Firmament wie ein langsam fliegender Komet. Und wieder kamen Sterne und wieder die Sonne. Die Bewegung der Sterne und der Sonne beschleunigte sich. Ich begriff, daß sich der ganze sternförmige Konvoi wie ein riesiges Karussell drehte. Gleichzeitig spürte ich, daß mich die Zentrifugalkraft zur Wand der Kabine schob, zum Rand des sternförmigen Gebildes - und auf einmal hatte ich das Gefühl von etwas Irdischem, das Gefühl von Masse und Gewicht.
    Der Alarm auf dem Konvoi brachte die ganze Besatzung in Aufruhr. Am dritten Lastschiff war ein Defekt am Düsenverschluß des Korrektionsmotors entstanden. Seine unbeherrschbare Kraft versetzte den durch eine Stahlkonstruktion zu einem einzigen Körper verbundenen Konvoi in eine rotierende Bewegung. Nach kurzer Zeit erkannte ich aus der Meldung, daß es gelungen war, die Düsen des Motors zu schließen. Die Rotation hörte allerdings nicht auf, und hört von alleine auch nicht nach tausend Jahren auf. Die Gesamtmasse des Konvois war in dieser Situation nicht lenkbar. Weil ich nicht zu den technisch geschulten Mitgliedern der Expedition gehörte, eilte ich ins Observatorium, das eine bessere Aussicht bot. Wegen des Einflusses der Fliehkraft durch die Rotation war das nicht gerade einfach; kaum ließ ich das Geländer los, rutschte ich an der Wand des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher