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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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mir ermahnt mich, daß diese Zeiten längst vorbei sind. Die Zeiten, in denen die Ferne nach Gewürzen duftete. Und doch - obwohl alle indischen Ozeane und Festlande schon Namen haben - liegt hinter dem Horizont um uns ein ebenso geheimnisvolles und gleich verlockendes Unbekanntes. Die Spitzen unserer kosmischen Raumschiffe zielen zum Planeten Mars, der geheimnisvollen Insel in den unendlichen Räumen des kosmischen Ozeans. Natürlich sind diese Inseln noch unberührt von Menschenhand. Immer noch lockt die Ferne. Es gibt Kaps der Guten Hoffnung, aber auch namenlose Felsen, die Sargas-See, tückische Sandbänke, Stürme, Windstille, Elmsfeuer, Hunger, Durst und lebenspendenden Regen. Eine Stimme aus dem Lautsprecher dringt wie ein elektrischer Schock in mein aufgelockertes Bewußtsein. Es ist die Meldung aus der leitenden Zentrale. Diese durch Elektronen gefilterte und umgeschmolzene Stimme mit ihrem metallenen Beigeschmack reißt mich aus meinen Gedanken und erinnert an die Wirklichkeit. Diese Stimme werde ich 258 Tage lang hören. Ich sitze allein im engen Raum der Arztkabine und denke darüber nach, ob meine neunzehn Gefährten die gleichen Gefühle haben wie ich. Wir machten eine lange Ausbildung durch, bei der alles einem wirklichen Flug gleichkam - und doch ist jetzt alles anders. Der Augenblick, von dem ich jahrelang geträumt habe, hat nun ein anderes Gesicht. Auch im Zustand der Schwerelosigkeit ist er vom Gewicht der Wirklichkeit beschwert.
    Programm Nummer drei: der Radiotechniker Jenkins meldet, daß auf dem Mutterschiff und auf den fünf Lastschiffen alles normal verläuft. Der Meldung entsprechend ist die Messung der Radiation beim Durchflug des Van-Allen-Gütels bereits beendet, so daß die Schutzdeckel der Sehschlitze geöffnet werden können.
    Ich löste die Gürtel, mit denen ich am Stuhl festgeschnallt war. Da ich jetzt frei hatte, wollte ich in das Observatorium gehen, denn in meiner speziell als Ordination eingerichteten Kabine gab es keine Sehschlitze. Die ersten zwanzigtausend Kilometer Fahrt lagen hinter uns - und ich wollte die Erde sehen. So wie ein Matrose, der aufs weite Meer hinausfährt, den Hafen.
    Als ich in den Verbindungstunnel hinausging - ich bemerke, daß der Begriff »gehen« im Zustand der Schwerelosigkeit nur formelle Bedeutung hat -, hörte ich aus dem Lautsprecher die Stimme von Major Ralf Norton, des Kapitäns der Expedition. Er gab Weisungen zum Abwurf der zusätzlichen Treibstoffbehälter, die jetzt nach der Entleerung nur ein überflüssiger Ballast waren.
    Am Ende des düster beleuchteten Ganges begegnete ich meinem Kollegen Watts, der ebenfalls Expeditionsarzt war. Während ich für die körperliche und seelische Gesundheit der Expeditionsmitglieder zu sorgen hatte, war Doktor Watts für die chirurgischen Dinge zuständig. Als er am Sehschlitz vorbeischwebte, erinnerte mich sein Kopf im Helm mit dem geöffneten Gesichtsschutz an das düstere Porträt eines Ritters. »Hallo, George«, sagte er mit etwas erzwungener Heiterkeit.»Wie fühlst du dich, wenn das Festland aus dem Blick verschwindet?« Er hatte offensichtlich die gleichen Gefühle wie ich. Ein hinter dem Horizont verschwindender Hafen, die unendliche Fläche des Ozeans ... Ich forderte ihn auf, mit mir ins Observatorium zu gehen, doch er lehnte ab. »Meinetwegen mach dir keine Sorgen«, sagte er und spielte damit auf meine Funktion als Psychologe an. Dann fragte er mich, was ich vom neuen Kapitän halte.
    »Wieso vom neuen?« fragte ich. »Vor ihm gab es doch keinen.«
    »Das schon«, antwortete Watts. »Aber alle erwarteten, daß es O'Brien sein würde.«
    Das stimmte. Die Leitung des Projekts Alfa ernannte nach langen Erwägungen vor genau vierundzwanzig Stunden Major Norton zum Expeditionsleiter. Der zweite Kandidat für diese Funktion, William O'Brien, wurde zu seinem Stellvertreter und zum Chef der wissenschaftlichen Forschung ernannt. Während der Ausbildungszeit war er provisorischer Kommandant gewesen. Ich wußte, was Watts sagen wollte: O'Brien war ein älterer und erfahrenerer Raumflieger als Norton. Er war eine hervorragende Kapazität auf dem Gebiet der Biologie. Ein fester, kompromißloser Charakter. Und doch hatte man Ralf Norton den Vorrang gegeben. Er hatte O'Brien gegenüber einen großen Vorteil: er hatte in der Armee gedient. Er war entschlossen und geistesgegenwärtig. Er war kaltblütig - und den Freunden gegenüber ein bißchen kühl. Der Geologe McKinley bemerkte scherzhaft, daß er kalt
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