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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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wie eine Hundeschnauze sei.
    Im schmalen Korridor, der zum Eingang des Observatoriums führte, herrschte Gedränge. Das Wort Gedränge hat mit Rücksicht auf die Größe der Räume in den Raumschiffen ebenfalls eine sehr relative Bedeutung. Vor der Tür zum Observatorium befanden sich Morphy und McKinley. Beide schwebten in waagrechter Lage, sich dabei an Geländerstangen festhaltend, mit denen alle Verbindungstunnels des Schiffes versehen waren. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz für die Astronauten, sich bei Begegnungen so zu wenden, daß sich die Köpfe in gleicher Lage befinden. Es ist sehr unangenehm, mit jemandem zu sprechen, der kopfsteht. Sein Gesicht hat dann einen entstellten Ausdruck, besonders wenn er die Augen und den Mund bewegt.
    McKinley empfing mich lächelnd: »Ein weiterer sentimentaler Eroberer. Wir müssen ein bißchen warten. O'Brien und Compton sind drinnen. Sie verabschieden sich von der Alten Dame.«
    Im Observatorium war eine herrliche Aussicht. Breite Sehschlitze ermöglichten einen Rundblick nach allen Seiten. Man sah die gesamte Gruppe der fünf Lastschiffe, die durch eine sinnvolle Konstruktion mit dem Mutterschiff zu einem riesigen, sternenförmigen Körper aus glänzendem Metall verbunden waren. Über ihnen, in schwarzem Raum, schwebte der Planet Erde. Aus der Entfernung von mehr als dreißigtausend Kilometern sah sie wie eine bläuliche, phosphoreszierende Kugel aus. Obwohl dieser Anblick für keinen von uns neu war, konnten wir uns doch an diesem Schauspiel nicht satt sehen. Durch den bläulichen Dunst der Lufthülle leuchteten die Umrisse der Westküste Afrikas. Das Äquatorgebiet des Atlantischen Ozeans und Zentralafrikas war stark bewölkt. Auch Europa war ganz in Nebelballen gehüllt. Dafür leuchtete die sonnenbestrahlte Sahara in goldenem Gelb. Die atlantische Küste Nordamerikas und die pazifische Küste verloren sich vorläufig in der tiefen Nacht am westlichen Rand der Erdkugel; nur an einigen Stellen begannen die von der Morgensonne angestrahlten Eisgletscher der Kordilleren zu funkeln.
    Keiner von uns sprach ein Wort. Ich glaube, daß an unserem
    Schweigen nicht nur die Schönheit dieses Schauspiels schuld war, sondern auch der Gedanke, die ersten Menschen zu sein, die ihren Heimatplaneten für die Dauer von fast tausend Tagen verlassen. Auch der erfahrene McKinley, der schon auf dem Mondboden seine Spuren hinterlassen hatte, unterbrach das Schweigen nicht. Die Arbeit an den Treibstoff-Hilfsbehältern ging gut vonstatten. Die Männer in ihren schwarzen Raumanzügen schwebten, an Seilen festgebunden, zwischen den Metallverbindungen der Raumschiffe. Nach je dreißig Minuten lösten sie sich ab. Ein riesiger Zylinder des Hilfsbehälters war bereits abmontiert und abgestoßen und schwamm, sich langsam zentimeterweise von uns entfernend, im Raum um uns. Es ist nicht einfach, sich die phantastische Geschwindigkeit vorzustellen, mit der das gigantische Gebilde der verbundenen Raumschiffe dahinraste, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen. Nichts war zu sehen, das von dieser Bewegung gezeugt hätte, nichts als die unbeweglichen Sterne und die kaum merkliche Bewegung des Mondes und die allmähliche Verkleinerung der Erde.
    Nach ungefähr einer Stunde hatte ich wieder Gelegenheit, die Demontage der Hilfsbehälter zu beobachten. An dem Bild hatte sich nichts verändert, außer daß der zuerst abmontierte Zylinder ungefähr hundert Meter entfernt im Raum schwebte. Im Milieu ohne Perspektive läßt sich die Entfernung nur nach der Verringerung der Größe abschätzen. Als ich den losgelösten, auf der schwarzen Fläche des Weltraumozeans schwimmenden Zylinder betrachtete, fiel mir der Vergleich mit einer von einem Schiff ins Meer geworfenen Flasche ein. Nur daß diese Flasche hier vielleicht Tausende, vielleicht Millionen Jahre schwimmen und um die Sonne kreisen würde. Wie eine Botschaft oder eine Erinnerung, wie eine Reliquie irgendeines Lebens von einem der längst erloschenen Planeten aus dem Umkreis der alternden Sonne. Und da es im Weltraum nichts gibt, das sich nur in ein Nichts verwandelt, würde auch dieser Zylinder irgendwann einmal seine Irrfahrt auf einem Körper des Sonnensystems beenden oder sich in Staub oder Gas oder Wärme verwandeln.
    Die Arbeit an den Hilfsbehältern dauerte fünfeinhalb Stunden. In dieser Zeit hatte der Konvoi der Raumschiffe auf seiner parabolischen Bahn eine Entfernung zurückgelegt, die größer war als die halbe Entfernung zwischen Erde und
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