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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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der ganzen Zeit O'Brien. Dieser Mensch faszinierte mich immer wieder. Er hatte eine eigenartige Stimmfarbe und überzeugte niemals mit unwiderlegbaren Argumenten. Man bekam den Eindruck, als lege er nur seine Gedanken zur Beurteilung, zur Erwägung vor, und niemals erteilte er in seiner Funktion als Stellvertreter des Kapitäns strikte Befehle. Nein, er war wirklich nicht der Typ eines Kommandanten.
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    Es wäre ziemlich lächerlich, wenn sich eine wissenschaftliche, mit modernster Technik ausgestattete Expedition mit der Aufgabe, am Mars zu landen, mit der Frage der Existenz irgendwelcher Unglückszahlen befassen sollte. Ich bin mir dessen bewußt, daß es bedenklich ist, wenn ein Mensch, der Anspruch auf einen akademischen Titel stellt, den dreizehnten Flugtag als schwarzen Tag bezeichnet. Am dreizehnten Tag früh kamen von der Erdzentrale die Meldung von einem kleinen Fehler in den Parametern unserer Flugbahn und genaue Anweisungen zu einer Korrektur. Die Treibdüsen für Flugkorrekturen wurden eingesetzt. Nach wenigen Minuten ging eine genaue Meldung zur Erde. Die Zählmaschinen in der Erdzentrale konnten beginnen, eine für uns beunruhigende Botschaft zusammenzustellen. Und dann erschien, so sehr ich mich dagegen sträubte, davon zu sprechen, die Dreizehn in ihrer unheilbringenden Form. Mein Dienst endete an diesem Tag zu Mittag. Nach dem Essen ging ich ins Observatorium, wo ich mit Wellgarth verabredet war. Er wollte mir einen neuen, die Einstein-Theorie betreffenden Gedanken über die Verlangsamung der Zeit mitteilen, der mich als Psychologen sehr interessierte. Kaum hatten wir uns fünf Minuten lang unterhalten, ertönten in allen Räumen des Schiffes die Alarmsummer. Gleichzeitig gab die Zentrale des Mutterschiffs das Signal »Mann über Bord«. Wellgarth und ich stürzten zu den Luken. Über der blendend leuchtenden Konstruktion, die den Konvoi in Form eines Sterns zusammenhielt, schwebte eine Gestalt im Arbeits-Raumanzug. Nach der Nummer am Rücken war es Waux aus dem fünften Lastschiff. Wir sahen, wie er mit der Raketenpistole winkte, die jeder, der sich im freien Raum befindet, in einer Schenkeltasche des Raumanzugs bei sich führt und die ihm Bewegungen im schwerelosen Zustand ermöglicht. Anscheinend war die Pistole nicht in Ordnung. Waux schwebte im Raum ohne Sicherungsseil, winkte hilflos mit den Händen, strampelte mit den Beinen und begann sich ziemlich schnell von uns zu entfernen. Ein schrecklicher Anblick. Unmittelbar danach ertönte die Stimme des Kapitäns. Befehl zur Rettungsaktion. Williams, der erste Mechaniker aus dem fünften Schiff, stürzte, an ein Seil von 100 Meter Länge befestigt, in die schwarze Leere. Wir sahen das Aufblitzen seiner ersten Rakete. Inzwischen entfernte sich Waux immer mehr. Ich hatte den Eindruck, daß es schon mehr als hundert Meter waren. Denselben Eindruck hatte wohl auch der Kapitän, denn noch ehe sich Williams' Hundertmeterseil spannte, gab der Kapitän Williams den Befehl, sich loszulösen. Jetzt schwammen zwei Männer im bodenlosen Ozean, und beide ohne Sicherungsseil! Ich überhörte vor Aufregung die Stimme des Kapitäns, der weitere Befehle erteilte. Ich sah nur einen Blitz, der die Bewegung Williams' beschleunigte, und einen weiteren Blitz, der die Richtung seiner Bewegung änderte. Beide Männer waren bestimmt außerhalb der Hundertmetergrenze und entfernten sich immer mehr. Ich spürte Trockenheit im Hals und konnte kaum schlucken.
    An einem verlängerten Seil befestigt, stieß sich vom zweiten Lastschiff der Mechaniker Lawrenson ab. Inzwischen näherte sich Williams seinem Gefährten, verfehlte ihn jedoch um zehn Meter. Mit einigen Schüssen aus der Taschenrakete korrigierte er seine Bahn, so daß er den Schiffbrüchigen fassen konnte. Ich vergaß in der Aufregung, die abgeschossenen Raketen zu zählen. Mir lief es eisig über den Rücken bei dem Gedanken, daß die Pistole versagen könnte. Von neuem blitzte es auf, und die beiden Männer in Raumanzügen drehten sich langsam auf der Stelle. Sie glänzten im Sonnenlicht vor dem schwarzen Hintergrund wie zwei sonderbare Tiefseefische. Es lag etwas schauderhaft Gespenstisches in diesem Anblick. Ein neues Aufblitzen - und endlich sah man, daß der Schiffbrüchige und sein Retter sich zu nähern begannen. In der Entfernung von ungefähr hundert Metern vom Konvoi stießen sie auf Lawrenson, und an Verschlußhaken befestigt, kehrten sie alle zurück.Ich weiß nicht, wie lange die ganze Aktion gedauert hat.
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