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und du bist weg

und du bist weg

Titel: und du bist weg
Autoren: Theo Pointner
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    Ein Blick aus dem Fenster war zuverlässiger als die Zeitansage. Angesichts der Wetterlage, bei der sich die Quecksilbersäule beharrlich weigerte, unter die Dreißig-Grad-Marke zu fallen, kannten die Arbeiter am Feierabend kein Halten mehr. Noch zwei Tage und das Wochenende war erreicht.
    Die Tore zu den Fabrikationshallen standen den ganzen Tag weit auf. Allerdings hatte sich kaum einer seiner Leute in die Hitze gewagt, nur einer der Gabelstapler hatte hin und wieder den Eingang passiert, um neues Material zu den Arbeitsplätzen der unterbezahlten Knechte zu bringen. Im Hochsommer war die Luft in den Hallen erbärmlich. Wie jemand siebeneinhalb Stunden am Tag, fünfmal in der Woche für den untersten Tariflohn sein Leben ruinierte, ohne den Wunsch zu verspüren, Amok zu laufen, das konnte Werner Gumprecht, fünfzigprozentiger Inhaber von Burgert & Gumprecht, nicht verstehen.
    Im Moment jedoch sah er in ausnahmslos gut gelaunte Gesichter. Von seinem Büro im obersten Stockwerk des Verwaltungsgebäudes hatte er einen schönen Ausblick auf das große Gelände mit den Montagestätten, dem Flachdachbau mit der Kantine und dem Verschlag, in dem das Material gelagert wurde. Hinter dem Maschendrahtzaun, der das Areal zu allen Seiten abgrenzte, begann die Taiga von Bochum-Laer, die ihren Abschluss in den abgestandenen, brackigen Gewässern der Ümminger Seen fand. Keineswegs die feinste Firmenadresse, aber wesentlich preiswerter als ein vergleichbares Gewerbegebiet näher zur Bochumer Innenstadt.
    Unter seinem Fenster wurden nun Stimmen laut, die Truppe aus der Verwaltung schloss sich den Arbeitern an. Gelegentlich vernahm Gumprecht undeutliche Gesprächsfetzen, doch wegen des dumpfen Rauschens der Klimaanlage konnte er nicht verstehen, worüber sich seine Mitarbeiter unterhielten. Eigentlich war es ihm auch vollkommen egal.
    Der kleine Werner zwischen seinen Beinen war bald so weit. Unwillkürlich riss er seine Augen von den getönten Panoramascheiben seines Büros los und warf einen Blick auf den dunklen Haarschopf in seinem Schoß. Carina Rürich, seine junge Assistentin, gab einige schmatzende Laute von sich und trat den Endspurt an.
    Gumprechts Finger krampften sich in die gepolsterten Armlehnen seines Sessels, mit aller Kraft spannte er seine Lendenmuskulatur an, biss sich auf die Lippen und begann zu keuchen. Einen Sekundenbruchteil später explodierte er.
    »Bäh«, gurgelte die Rürich. »Ich hab dir doch schon tausendmal gesagt, du sollst mir Bescheid sagen.«
    »Bescheid«, seufzte Gumprecht erlöst und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. »Entschuldige, aber es gibt Momente …«
    »… da könnte ich dir die Eier abbeißen«, vollendete seine Assistentin den Satz.
    »Hast du heute auf einen BH verzichtet?«, fragte Gumprecht, während seine vertrauteste Mitarbeiterin auf ihren Pumps zum Waschbecken dackelte. Bevor sie ihrem Chef eine Antwort gönnte, spülte sie sich gründlich den Mund aus, drückte ein paar Spritzer Mundwasser in ihren Rachen und spülte erneut. Dann wischte sie mit einem Handtuch über ihre Lippen und ordnete mit wenigen geschickten Handgriffen ihre Frisur.
    »Du bist ekelhaft«, entschied sie dann. »Werner, Werner, wie soll das weitergehen?«
    Gumprecht zuckte die Achseln und griff nach seiner Zigarettenpackung. Doch statt einen der Glimmstängel anzuzünden, zog er die Kippe langsam unter seinen Nasenflügeln her und deponierte den Sargnagel in einem Kästchen, welches eigentlich für die Aufbewahrung von Notizzetteln gedacht war.
    »Schon die Zwölfte heute«, kommentierte er stolz. »Ich glaube wirklich, diesmal schaffe ich es.«
    »Lenk nicht ab«, antwortete Carina.
    »Was soll noch großartig werden? Geschäftsführer bin ich schon. Und wenn der Laden erst mal den Amis gehört, hab ich ausgesorgt.«
    Die Frau kehrte langsam wieder zu ihrem Boss zurück und hockte sich hinter ihm auf die Schreibtischkante. Ihre Finger landeten auf Gumprechts Schultern, um die Muskeln langsam durchzukneten. »Nur du? Nicht wir beide?«
    Gumprecht beäugte ihr Spiegelbild in den Scheiben und kräuselte die Stirn. Okay, ihre Figur war erste Sahne, blasen konnte sie wie die Weltmeisterin am Dudelsack, aber sonst? Die leicht schief stehende Nase hätte er ja noch ignorieren können, nicht aber ihre Dumboohren und die viel zu eng beieinander stehenden Augen. Vor allem an ihren Silberblick würde er sich nie gewöhnen können.
    »Natürlich wir beide«, beruhigte er sie dennoch. »Wo es für einen
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