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Die Erde ist nah

Die Erde ist nah

Titel: Die Erde ist nah
Autoren: Ludek Pesek
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beobachtete, die die Hauptlast der Verantwortung für das Gelingen der Expedition zu tragen hatten, kam mir zum Bewußtsein, daß die Entscheidung des Rates wohlüberlegt war. Die Leiter der Expedition ergänzten sich harmonisch; Energie, Mut und Entschlossenheit auf der einen Seite, und tiefes menschliches Verständnis für alles, was das Leben betrifft, auf der anderen. Was hätte idealer sein können?
    Am Mittag des nächsten Tages ging ich zum Kapitän. Ich wollte mit ihm eine Meldung zur Erdzentrale besprechen, in der ich mir die Erlaubnis einholte, die psychologischen Teste zu ändern. Nachdem die Angelegenheit erledigt war, kam der Mechaniker Briggs, um den Kapitän zu ersuchen, ihn vom Dienst mit Gray zu befreien. Er schien sehr aufgeregt zu sein. Auf die Frage des Kapitäns, welchen Grund er für ein so sonderbares Verlangen habe, antwortete er: »Mit so einem Idioten kann ich nicht zwölf Stunden täglich zusammen sein. Ich halte das ganz einfach nicht aus.«
    Der Kapitän schwieg eine Weile und sagte dann: »Briggs, unter normalen Umständen würden Sie Ihre Worte bedauern.« Und zu mir gewandt: »Nehmen Sie sich ihn vor, der ist nicht in Ordnung. Und den andern auch.« Erst rufe ich Gray in meine Ordination. Er hat einen ruhigeren Charakter als Briggs. Ich setze voraus, daß er mir, ohne sich aufzuregen, die Ursache des Konflikts erklärt. Er hat nichts dagegen, daß ich seine Aussage zu Studienzwecken auf Tonband aufnehme.
    Gray beschwert sich, daß er sich schon längere Zeit mit Briggs nicht vertrage. Im Interesse des verträglichen Zusammenlebens gehe er oft auf dessen gegenteilige Ansichten ein. Briggs sei in letzter Zeit sehr nervös. Es scheine, als suche er geradezu Ursachen zu Streitigkeiten. »Er ist ein ausgezeichneter Techniker und stritt sich trotzdem gestern um eine Kleinigkeit, von der er wissen mußte, daß sie ein technischer Unsinn ist. Das Ende war ein hysterischer Auftritt.«
    Dann nahm ich mir Briggs vor. Hier ist ein Teil seiner Aussage auf Tonband:
    Briggs: »Schalte das aus. Ich bin ja kein Irrer, den du in deiner Kartothek führen mußt.«
    Ich: »Aber Briggs, wer behauptet, daß du ein Irrer bist? Alle Aufzeichnungen dienen wissenschaftlichen Zwecken. Hier sind Aufzeichnungen von Kapitän Norton, O'Brien . . . Ich sage dir das als Argument, damit auch du einverstanden bist . . .«
    Briggs: »Und ich sage dir, daß ich nicht einverstanden bin. Schalte das aus!«
    Ich: »Ich kann dich nicht zwingen, aber es ist schade; nach einiger Zeit, zu Hause, mit den Hausschuhen an den Füßen, würdest du dich amüsieren.«
    Briggs: »Doktor, ich sag' dir zum letztenmal, schalte das aus, eh ich den Kram zerschlage - und das da löschst du fein aus . . .«
    Ich schalte das Gerät aus.
    Nun folgt ein langes Gespräch. Briggs beruhigt sich allmählich. Er leidet an der kosmischen Krankheit. Als es mir gelungen ist, sein Vertrauen zu gewinnen, gesteht er mir, daß er oft an Atemnot und Angst vor etwas Undefinierbarem leidet. Bei den Streitereien mit Gray wird ihm leichter. Als würde sich eine unerträgliche innere Spannung entladen. Er hat das Gefühl, daß Gray sich über ihn lustig macht und ihn unterschätzt. Ich unterbreche ihn und lasse Grays Aussage auf Tonband laufen. Eine aufrichtige kameradschaftliche Aussage, ohne Doppelsinnigkeit, ohne Anspielungen. Das macht auf Briggs einen unerwartet starken Eindruck. Mir scheint, daß er ein bißchen gerührt ist. Plötzlich aber sagt er, wie von einem elektrischen Schlag getroffen: »Hör mal, ist das nicht ein psychiatrischer Trick? Hat Gray nicht abgelesen, was du ihm aufgeschrieben hast?«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dann fällt mir ein, daß ich nur das sagen muß, was ich denke: »Überleg mal, ob ich dich nicht doch in die Kartothek einreihen soll.« »Vergiß das«, erwiderte Briggs rasch. »Es ist gemein von mir, eine Kameradschaft so mit Füßen zu treten. Wenn Gray nichts dagegen hat, machen wir zusammen weiter.«
    4
    Bei einigen Expeditionsmitgliedern begannen sich bestimmte, vorläufig geringfügige Änderungen im Blutbild zu zeigen. Obwohl der Zustand der Gewichtlosigkeit bei langfristigen Flügen um die Erde gründlich erforscht worden war, hatten die Kompensationsmaßnahmen diesmal nicht die hundertprozentige Wirkung. Wir berieten darüber mit Watts und mit der Erdzentrale. Wahrscheinlich war es die Folge bestimmter psychischer Belastungen.
    Wir steigerten bei den betroffenen Mitgliedern die Rationen der Pharmazeutika.
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