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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge
Autoren: Michael Peinkofer
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zeigte?
    Graydon sah, dass Jamilla zitterte. Das Klima konnte es freilich nicht sein, das sie frösteln ließ – schon viel eher das Wissen um die von Piraten verseuchten Gewässer, die sie gegenwärtig durchsegelten. Denn wenngleich Lord Clifford es unterlassen hatte, seiner Gattin und seinem kleinen Sohn von den Schrecken der Karibik zu erzählen, so waren beide hinlänglich darüber unterrichtet worden. Denn der beherzte Pater O’Rorke war ungleich weniger zurückhaltend.
    »Seht Euch vor, junger Herr«, sagte er zum kleinen Nicolas,den er auf dem Arm trug, damit dieser über die Achterreling blicken konnte. »Dieser Teil der Welt mag wie das Paradies aussehen, aber in Wahrheit ist er von Gott verlassen. Abel ist nicht mehr; es sind Kains Erben, die hier zu Hause sind – gottlose Menschen, die das Gesetz des Herrn nicht achten und ihresgleichen ohne Rücksicht meucheln. Ich habe Dinge über diese Piraten gehört, junger Herr, die Euch zu Tode ängstigen würden. Von braven Händlern, die den Haien zum Fraß vorgeworfen wurden, von Seeleuten, die nur noch ein Auge besitzen, weil das andere ihnen mit glühenden Zangen herausgerissen wurde.« Mit Daumen und Zeigefinger formte O’Rorke eine Zange und schnappte damit nach Nicolas’ Gesicht, worauf der Junge einen entsetzten Schrei ausstieß.
    Nicolas Graydon war erst zwei Jahre alt, aber für sein Alter ungewöhnlich groß und kräftig. Er hatte die milden Gesichtszüge und das dunkle Haar seiner Mutter und die stahlblauen Augen und das markante Kinn des Vaters geerbt. Die Entscheidung, Frau und Kind auf diese Reise mitzunehmen, war Lord Clifford nicht leicht gefallen. Obwohl es ihm das Herz gebrochen hätte, wäre er lieber von ihnen getrennt gewesen, als sie bewusst einer Gefahr auszusetzen. Aber Lady Jamilla, die eine ebenso eigensinnige wie mutige Frau war, hatte darauf bestanden, dass sie und der kleine Nicolas ihn begleiteten. Und nach anfänglichem Widerstand hatte der Lord schließlich eingewilligt – mit einem nagenden Gefühl der Reue im Herzen …
    »Muss das sein, Pater?«, wandte er sich an den Mönch, der seine Miene derart verkniffen hatte, dass es jedem Piraten zur Unehre gereicht hätte: Unheilvoll zusammengezogene Augenbrauen und nach unten gewölbte Mundwinkel vermittelten den Eindruck, das Jüngste Gericht stünde unmittelbar bevor.
    »Was meint Ihr, Euer Lordschaft?«
    »Müsst Ihr dem Jungen solche Schauergeschichten erzählen?«, wurde Lord Clifford deutlicher. Es genügte schon, dass die Seeleute der Valiant hinter vorgehaltener Hand tuschelten und hanebüchener Aberglaube die Runde machte, dass von dunklen Vorzeichen und drohendem Verderben gemunkelt wurde. Die Stimmung an Bord war ohnehin angespannt genug, sodass nicht auch noch ein katholischer Priester ins selbe Horn stoßen musste.
    O’Rorkes gerötetes, mit Sommersprossen besetztes Gesicht hellte sich daraufhin ein wenig auf, der unheilvolle Schatten über seinen Augen jedoch blieb. »Verzeiht, Euer Lordschaft«, sagte er. »Es war nicht meine Absicht, den jungen Herrn zu ängstigen.«
    »Sind diese Piraten denn wirklich so gefährlich?«, fragte Lady Jamilla. In ihrem Salon zu Hause in England war ihr die Entscheidung, in ferne Gestade zu reisen, leicht gefallen, und auch die Aussicht auf blutrünstige Piraten hatte sie nicht ängstigen können. Nun jedoch, als die Valiant eben jene Gewässer durchkreuzte, die schon unzähligen Schiffen zum Verhängnis geworden waren, stellte sich die Reise ein wenig anders dar.
    »Sie sind gefährlich, meine Liebe«, sagte Lord Clifford rasch, »dennoch brauchst du dich nicht zu fürchten. Die Valiant ist ein gutes Schiff, und bei Captain Garrison und seinen Offizieren sind wir in den besten Händen. Nicht wahr, Garrison?«
    Kenneth Garrison war ein Veteran zur See – ein erfahrener Kapitän der königlichen Marine, der im Krieg gegen die Spanier gekämpft hatte und schon unzählige Male hinter dem Mast gefahren war. Ein wettergegerbtes Gesicht lugte unter der gepuderten Perücke und dem Dreispitz hervor, und aus den Augen blitzte ein Schalk, der schon manchen Feind das Leben gekostet hatte.
    »Ganz recht, Euer Lordschaft«, bestätigte der Kapitän, der mit im Rücken verschränkten Armen beim Steuermann standund wachsam auf das Vordeck blickte. »Die Valiant ist ein stolzes Schiff, das mir in vielen Schlachten treu gedient und manche Galeone auf den Meeresgrund geschickt hat. Ihr Kiel schneidet wie ein Schwert durch die Dünung, und ihre
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