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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge
Autoren: Michael Peinkofer
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Prolog
    Die Karibische See
Im Jahr des Herrn 1673
     
    D ie Seeleute nannten sie die Windward-Passage – jenen Abschnitt der Karibischen See, der sich zwischen Kuba und Hispaniola erstreckte und nicht nur wegen seiner Strömungen berüchtigt war. Ungleich traurigere Berühmtheit hatte die Windward-Passage durch die Piraten erlangt, die sich in diesen Gewässern herumtrieben und Jagd auf wehrlose Schiffe machten.
    Von ihren Verstecken aus, von denen es entlang der zerklüfteten und von üppigem Dschungel bewachsenen Küsten unzählige gab, brachen die Seeräuber zu ihren Raubzügen auf. Aus dem Nichts heraus griffen sie an, lauerten in Lagunen und Nebelbänken, tauchten beim ersten Licht des Tages auf oder kurz vor Einbruch der Nacht. Ein Schiff, das ihnen in die Hände fiel, war dem Untergang geweiht, die Besatzung hatte keine Gnade zu erwarten. Denn die Männer, die an Bord der Piratenschiffe segelten, waren Ausgestoßene, verdammte Seelen, die nichts zu verlieren hatten und nicht einmal den Teufel fürchteten. Sie achteten weder Moral noch Gesetz, nur das Recht des Stärkeren und den Kodex, den sie selbst aufgestellt hatten – verbrecherische Gesetze für verbrecherische Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Plündern, Rauben und Morden verdienten.
    Lord Clifford Graydon wusste all das. Dennoch hatte er befohlen, die Gewässer der Windward-Passage anzusteuern – einUmweg um Kuba herum hätte drei Wochen Verzögerung bedeutet, die Umseglung von Hispaniola zu tief in spanische Gewässer geführt. Obwohl der Konflikt zwischen England und Spanien offiziell beendet war, waren die Gefilde der Karibik längst nicht sicher, und die britische Krone trug zu einem Gutteil Schuld daran. Während des Krieges war es gängige Praxis gewesen, Kaperbriefe auszustellen und Freibeuter aller Couleur dazu zu ermuntern, Jagd auf spanische Galeonen zu machen. Auf diese Weise waren Halsabschneider und Glücksritter mit dem Versprechen des raschen Goldes sowohl aus der Alten als auch aus der Neuen Welt in die Karibik gelockt worden, und nicht wenige spanische Schiffe, die beladen mit den Schätzen der Kolonien in die Heimat unterwegs gewesen waren, waren als Wracks auf dem Grund des Meeres geendet.
    Der Jahrzehnte währende Krieg mochte ein Ende gefunden haben – die Freibeuter jedoch waren noch da. Der Ruf des Goldes hatte sie in Massen herbeigelockt und aus Häfen wie Tortuga und New Providence Pfuhle der Sünde und des Lasters gemacht, in denen sich gottloses Volk versteckte – Mörder, Diebe und anderes Gesindel. Natürlich hatte die britische Krone die Kaperbriefe für erloschen erklärt, aber die Seeräuber scherten sich nicht darum. Getrieben von der Gier nach Blut und Beute und trunken von Hitze und Rum, brachen sie zu immer neuen Raubzügen auf, und längst waren es nicht mehr allein die Galeonen der Spanier, auf die sie es abgesehen hatten. Auch englische Fregatten hatten es den Räubern der Meere angetan. Und was man in den Tavernen von Bristol bis Portsmouth zu hören bekam, war schaurig genug.
    Von schrecklichen Bluttaten war die Rede. Von einhändigen Piraten, die gefangenen Seeleuten mit ihrer Hakenhand die Gedärme zerfetzten, von teuflischen Kapitänen, die gefangenen Frauendie Haare anzündeten, ehe sie sie über die Planke schickten, und von einäugigen Maaten, deren liebste Beschäftigung es war, kleine Kinder zu quälen.
    Mit Beklemmung musste Graydon gerade jetzt an diese schaurigen Geschichten denken, während sein Blick Lady Jamilla streifte, die an der Reling des Achterdecks stand und nach Westen blickte, wo die im Dunst liegende Küste Kubas das kalte Blau von See und Himmel teilte. In ihrem rüschenbesetzten Seidenkleid, das über den Reifrock fiel, mit ihrer Haube und dem kleinen Schirm, der ihre blasse Haut vor der zudringlichen Sonne der Karibik schützen sollte, bot die zierliche junge Frau einen eigenartigen Gegensatz zur robusten Umgebung des Schiffes, und einmal mehr schalt sich Lord Clifford einen Narren dafür, dass er sich hatte überreden lassen, sie und den kleinen Nicolas in die Kolonien mitzunehmen.
    Gewiss, die Planken, auf denen sie standen, waren solide und aus bester englischer Eiche. Die Valiant war eine Fregatte der älteren Bauart, mit 14 Kanonen an Bord und 75 Seelen – Seeleute und Soldaten der königlich britischen Marine, die den Auftrag hatten, Graydon und seine Familie unter Einsatz ihres Lebens zu beschützen. Aber würde das genügen, wenn sich die schwarze Flagge am Horizont
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