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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge
Autoren: Michael Peinkofer
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ihn, die von allen Seiten nach ihm biss und ihm Kleidung und Haar versengte. Er landete auf den blutigen Planken und stürzte, raffte sich inmitten lebloser und verstümmelter Körper auf die Beine. Das Schwert in der Hand, wollte er zu dem Piraten eilen, der dabei war, mit seiner wehrlosen Beute zu entschwinden – aber erneut stellten sich ihm wilde, blutbesudelte Gestalten entgegen, deren Augen vor Mordlust funkelten. Mit einem gellenden Kampfschrei stürzte sich der Lord auf sie, um eine Bresche in ihre Reihen zu schlagen. Die Piraten jedoch konterten seine Attacke, es gab kein Durchdringen.
    Eine Pistole krachte, und fast gleichzeitig fühlte Lord Clifford stechenden Schmerz in seiner Brust.
    Er wollte weiterkämpfen, wollte Jamilla zu Hilfe kommen, um sie aus der Gewalt des Frevlers zu befreien – aber etwas hielt ihn mit eiserner Hand zurück. Er verlor den Halt, und wie vom Donner gerührt ging er zu Boden. Hart schlug er auf die Planken, zu allen Seiten loderte Feuer. Das Gelächter der Seeräuber dröhnte in seinen Ohren, und das Letzte, was er sah, war Lady Jamilla in den Armen des Piraten.
    Lord Cliffords Lippen formten lautlose Worte unendlichen Bedauerns.
    Dann kam die Dunkelheit.

AKT I - Maracaibo
    AKT I
    Maracaibo

1.
    Spanische Besitzung Neugrenada
19 Jahre später
     
    D en Donner der Kanonen noch im Ohr, schlug Nick Flanagan die Augen auf – nur um festzustellen, dass er sich keineswegs auf hoher See inmitten eines verheerenden Gefechts befand. Und der laute Knall, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, stammte auch nicht von einem Geschütz. Die Wirklichkeit, in der sich der junge Mann wiederfand, war ungleich grausamer.
    Der Gestank von Schweiß und Exkrementen, der zäh über dem Lager hing, stieg ihm in die Nase und brachte ihn vollends zu Bewusstsein. Sich die Augen reibend, wälzte sich Nick von seinem kargen Lager, das nur aus zwei Armen voll Stroh bestand, die auf den nackten, feuchten Erdboden geworfen waren. Überall ringsum regte es sich in dem Unterstand, dessen mit Palmenblättern gedecktes Dach längst nicht mehr dicht war. In der Nacht hatte es geregnet; nun tropfte es von der Decke, und auf dem Boden hatten sich schillernde Schlammpfützen gebildet. Ein neuer Tag war für die Sklaven von Maracaibo angebrochen – ein Tag, der wiederum nichts als Strapazen, Schmerzen und Erniedrigung bringen würde. Und vielleicht auch einen jähen und sinnlosen Tod …
    »Na, Sohn? Gut geschlafen?«
    Nicks Vater, der alte Angus Flanagan, dessen Lager sich direkt neben seinem befand, war erwacht und schenkte ihm ein schiefesGrinsen. Mit den mehr als fünfzig Lenzen, die er auf dem Buckel hatte, zählte Angus zu den ältesten Gefangenen im Lager – ein sehniger, wenn auch nicht übermäßig großer Mann, dessen eisenharte Verfassung und angeborene Zähigkeit ihn vor dem traurigen Schicksal bewahrt hatten, das jenen Sklaven drohte, die den Strapazen nicht mehr gewachsen waren – dies und die Tatsache, dass der alte Angus Flanagan zu jenem Menschenschlag gehörte, der auch in ausweglosen Situationen nie den Mut verlor.
    Und ausweglos war ihre Lage in der Tat.
    Vor zwölf Jahren waren der alte Angus und sein Sohn auf einer Schiffspassage von Jamaica nach den Carolinas von einer spanischen Galeone aufgebracht worden. Nach kurzem Gefecht hatte die Besatzung des britischen Schiffes, auf dem die beiden Flanagans gedient hatten, die Waffen gestreckt, und die gesamte Mannschaft war gefangen genommen worden. Auf diese Weise waren Nick und sein Vater nach Maracaibo gelangt, wo sie in dieses Lager gepfercht worden waren. Zusammen mit anderen Seeleuten, die von den Spaniern versklavt worden waren, aber auch mit Mördern, Dieben, Schmugglern und allem anderen, was die Karibische See an Abschaum zu bieten hatte. Sogar ein paar Piraten befanden sich unter den Sklaven – die pragmatischen Spanier sicherten sich lieber die Arbeitskraft eines gefangenen Seeräubers, als ihn öffentlich hinzurichten, wie die Briten es taten.
    Die spanischen Herren, die sich selbst als conquistadores bezeichneten, als Eroberer der Neuen Welt, scherte es nicht, welche Hautfarbe man hatte oder woran man glaubte. Ob Engländer oder Holländer, Schwarze oder Indianer – in ihren Lagern sammelte sich alles, was kräftig genug war, um für sie zu schuften. Und wer sich erst innerhalb der zwei Mann hohen Palisadenmauern befand, der hatte keine Chance, jemals wieder von dort zu entkommen. Erst vor zwei Wochen hatte es einer versucht,
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