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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben
Autoren: William Golding
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der der Pfad jenseits wieder begann. Wo das andere Ende des Stammes gelegen hatte, war Erde aufgewühlt. Sie stellte Ha eine stumme Frage, und Ha antwortete mit seinem Mund. »Ein Tag. Vielleicht zwei. Nicht drei.« Nil kam auf dem Pfad in Sicht. Sie jammerte leise vor sich hin, wie immer, wenn sie müde und hungrig war. Aber obwohl ihr das Fell schlaff um den schweren Leib hing, reckten sich ihre Brüste straff und voll, und weiße Milch stand in den Warzen: wenn keiner von ihnen zu essen fände, das Junge brauchte nicht zu hungern. Sie suchte es mit den Augen, sah es in Fas Haar festgeklammert und schlafend, trat dann zu Ha und berührte ihn am Arm. »Warum bist du nicht bei mir geblieben? Du hast mehr Bilder im Kopf als Lok.« Ha deutete auf das Wasser. »Ich wollte schnell den Stamm sehen.« »Aber der Stamm ist fortgegangen.«
    Die drei standen da und blickten einander an. Dann fühlten sie, wie ihnen so oft geschah, Gemeinsames. Fa und Nil erstand das gleiche Bild, und darin sahen sie, daß Ha dachte. Er hatte daran gedacht, daß er sich von dem Vorhandensein des Stammes überzeugen müsse, denn wenn das Wasser den Stamm mitgenommen oder wenn der Stamm sich eigenmächtig davongemacht hatte, mußten die Gefährten das Moor umgehen, und das war eine Tagreise mehr und bedeutete Gefahr und noch größere Mühe als ohnehin.
    Lok warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Ast und ließ ihn nicht mehr los. Er gebot Liku Schweigen, und sie kletterte herunter und blieb Heben ihm stehen. Die Alte kam auf dem Pfad näher, sie hörten ihre Füße und ihren keuchenden Atem. Jetzt trat sie hinter dem letzten der Stämme hervor; sie war grau und schmächtig, ging gebückt und war ganz in die Betrachtung des laubumwickelten Bündels versunken, das sie mit beiden Händen vor ihren welken Brüsten trug. Die Gefährten standen beisammen und grüßten sie mit Schweigen. Sie sagte nichts und harrte der Dinge, die kommen mochten. Nur ihre Hände sanken ein wenig unter der Last, und sie hob das Bündel wieder an, damit die anderen wüßten, wie schwer es war. Lok sprach als erster. Er sprach zu allen gewandt, lachte, vernahm aber nur die Worte aus seinem eigenen Mund und wollte doch, daß die anderen ebenfalls lachten. Nil begann wieder zu klagen.
    Jetzt hörten sie den letzten der Gefährten den Pfad entlangkommen. Es war Mal. Er ging langsam und hustete häufig. Er trat hinter den Stämmen hervor, blieb vor der freien Fläche stehen, stützte sich schwer auf das splittrige Ende seines Dornenastes und hustete erneut. Während er sich vornüber beugte, konnten sie sehen, daß ihm das weiße Haar auf einer breiten Bahn ausgefallen war, die hinter den Augenbrauen begann, über den Kopf führte und bis in die Mähne hineinreichte, die ihm auf die Schultern fiel. Er hustete, und sie schwiegen still, regungslos wie äugendes Wild, während sich rings um ihre Füße der Schlamm in großen Klumpen hob und zwischen ihren Zehen hervorquoll. Eine scharf umrissene Wolke zog von der Sonne weg, und die Bäume siebten fröstelndes Licht über ihre bloßen Leiber.
    Schließlich hörte Mal auf zu husten. Er richtete sich auf, indem er den Ast als Stütze benutzte und mit den Händen abwechselnd übereinander daran hochgriff. Er sah auf das Wasser, ließ dann den Blick auf jedem einzelnen ruhen, und sie warteten. »Ich sehe ein Bild.«
    Er nahm eine Hand vom Ast und legte sie sich flach auf den Kopf, wie um die Vorstellungen zu bannen, die darin umeinanderkreisten.
    »Mal ist nicht alt. Er reitet auf dem Rücken seiner Mutter. Es ist mehr Wasser da, nicht nur hier, sondern den ganzen Pfad entlang, den wir gekommen sind. Ein Mann ist klug. Er läßt die Männer einen Stamm holen, der gestürzt ist, und –«
    Die tief in ihre Höhlen gesunkenen Augen wandten sich an die anderen und baten sie, dieses Bild mit ihm gemeinsam zu sehen. Er hustete wieder leise. Die Alte hob vorsichtig ihr Bündel an. Endlich sprach Ha. »Ich kann dieses Bild nicht sehen.« Der Alte seufzte und nahm die Hand vom Kopf. »Sucht einen Baum, der gestürzt ist.« Sie schwärmten gehorsam am Wasser entlang aus. Die Alte trat zu dem Zweig, auf dem Liku geschaukelt hatte, und ruhte die hohlen Hände mit ihrer Last darauf aus. Ha rief den anderen. Sie eilten zu ihm und fuhren vor dem wässrigen Morast zurück, der ihnen bis an die Knöchel stieg. Liku fand einige schwarzgewordene, von der letzten Fruchtzeit übriggebliebene Beeren. Mal trat hinzu und blickte brauenrunzelnd auf
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