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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Lisa J. Smith
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bekam.
    Er sah Jenny genau eine Sekunde lang an, dann drehte er sich um und sie konnte nur noch sein vollkommenes, feines Profil sehen.
    »Geh durch die Tür!«, befahl er. »Das ist dein Weg nach Hause. Sie werden dir nicht folgen.« Er stand zwischen ihr und den Schattenmännern. Und im Gegensatz zu Dee konnte er anscheinend körperlich auf sie einwirken. Jedenfalls blieben sie zurück.
    »Geht!«, rief er.
    »Wir brauchen Blut«, sagte der krokodilsäugige Schattenmann. »Und wir werden Blut bekommen.«

    »Schnell!«, rief Julian.
    Durch die offene Tür sah Jenny den Flur ihres Großvaters.
    »Wir haben ein Recht auf Beute«, erklärte der Krokodilsäugige und riss plötzlich etwas Langes und Flaches und sehr alt Aussehendes aus der Luft. Seine Finger waren mit schuppiger Haut bedeckt. Wie die Haut eines Dinosauriers, dachte Jenny. Dann erkannte sie, worum es sich bei dem Gegenstand handeln musste.
    Es war ein Runenstab. Wie auf dem Bild im Tagebuch ihres Großvaters, nur dass dieser hier real war. So real wie einige der Inselwelten – die, die sogar heller und echter gewirkt hatten als die Erde. Dieser Stab war so real, dass er lebendig wirkte und vor purer Energie pulsierte.
    Zahlreiche Runen waren hineingeschnitzt, Linie um Linie, hoch und nadeldünn. Und obwohl sie so zierlich waren, stach jeder der Striche deutlich hervor. Wie mit flüssigem Diamant gefüllt, der vor dem Hintergrund des Holzes glänzte.
    Jenny konnte die Runen nicht länger ansehen. Es war, als ob man in einem Traum zu lesen versuchte – zuerst waren die Einzelheiten noch scharf erkennbar, doch dann schien der ganze Stab von Veränderungen zu wimmeln. Die Runen schienen sich zu bewegen, bevor Jenny sie identifizieren konnte.
    Der Stab des Lebens. Wenn es jemals einen solchen Stab gegeben hat, dann ist es dieser, dachte sie.

    »Gib sie uns«, sagte die Stimme, die wie ein fernes Windspiel aus Eis klang.
    »Nein«, erwiderte Julian.
    Jenny spürte eine Bewegung hinter ihr. Tom. Und Dee und Zach, der Summer immer noch im Arm hielt, und Audrey und Michael. Sie alle versammelten sich hinter ihr. Der Weg zur Tür war frei. Aber niemand ging darauf zu.
    »Was geht hier vor?«, flüsterte Audrey.
    »Du weißt, was wir tun können«, sagte der hochgewachsene Schattenmann zu Julian und hielt den Runenstab noch etwas höher.
    »Geht durch die Tür«, befahl Julian, ohne sich umzudrehen.
    »Wir können dich vernichten!«, kreischte der Hochgewachsene plötzlich, und in diesem Moment war seine Stimme überhaupt nicht mehr schön. Wie zerberstendes Eis, ein krachendes, schmetterndes Geräusch der Zerstörung.
    »Wovon reden sie?«, fragte Tom.
    Seine ruhige, gleichmäßige Stimme half Jenny. »Sie können seinen Namen herausschneiden. Und wenn sie seinen Namen herausschneiden, stirbt er.« Dann sagte sie: »Julian …«
    »Geht!«, wiederholte er.
    Die Schattenmänner wurden immer wütender.
    »Wir haben ein Recht auf eine Beute!«

    »Dann nehmt euch das Recht!«, rief Julian. »Aber ihr werdet nicht an mir vorbeikommen!«
    In den dünnen, schuppigen Fingern seiner anderen Hand hielt der Schattenmann ein Messer. Es glitzerte wie Frost.
    »Komm, Jenny«, sagte Tom, ohne sich zu bewegen.
    »Julian  …«
    »Geht!«, rief Julian.
    Das Messer hob und senkte sich.
    Jenny hörte sich schreien. Sie sah, wie die Klinge ins Holz schnitt, sie sah, wie der flüssige Diamant herausquoll. Wie Blut. Jetzt prangte ein schrecklicher Schnitt in dem Stab, eine schauerliche Lücke. Eine Wunde. Der Schattenmann hatte Julians Namen herausgeschnitten.
    Julian taumelte.
    Jenny riss sich von den Händen los, die versuchten, sie festzuhalten, und fiel neben Julian auf die Knie. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, überschlugen sich. Es musste etwas geben, was sie tun konnte, irgendeine Möglichkeit zu helfen …
    Aber sein Gesicht verriet ihr, dass es zu spät war.
    Die anderen Schattenmänner rauschten in einem eisigen Wind heran. Jenny schaute in den Sog hinauf und versuchte, Julian auf die Füße zu hieven.
    Und dann zogen Hände an ihr. Menschliche Hände, um ihr mit Julian zu helfen. Und dann rannte Jenny, sie
alle rannten und schleiften Julian mit sich. Und dann war die Tür direkt vor ihnen.
    Eis peitschte auf Jennys Rücken. Eine eisige Ranke legte sich um ihren Knöchel. Aber Michael hielt die Tür auf, und Summer und Zach fielen hindurch – dann Audrey, und dann sie, Tom und Dee, zusammen mit Julian. Sie spürte einen Widerstand, als sie die Türschwelle
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