Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Lisa J. Smith
Vom Netzwerk:
Gesichter niemals mehr den Ausdruck ändern konnten. Andere hatten eine Haut wie Krötenfleisch – leichenweiß und gekräuselt, mit herabbaumelnden Kehllappen.
    Aber es war nicht nur die Haut. Ihre Körper waren verkrümmt und verstümmelt, mit schrecklichen Gesichtern. Einer hatte keine Nase, nur ein leeres, schwarzes Loch. Ein anderer hatte überhaupt keine Gesichtsöffnungen.
Nichts – nur leere, gespannte Haut, wo Augen, Mund und Nase hätten sein sollen. Einem anderen wuchs ein Horn aus dem Hinterkopf.
    Und der Geruch  – sie rochen nach Verwesung und nach Schwefel. Jennys Nasenflügel brannten, Galle stieg ihr in die Kehle.
    Neben ihr atmete Tom schwer. Sie sah ihn an und bemerkte das offene Entsetzen in seinen grün gesprenkelten Augen. Dees Nasenflügel bebten, und sie machte sich zum Angriff bereit.
    Plötzlich huschte eine der Kreaturen über den gefliesten Boden, um direkt vor Jenny stehen zu bleiben. Jenny keuchte auf – und erkannte sie. Es war der graue, vertrocknete Fötus, den sie im Park gesehen hatten und der hinter der »Peitsche« verschwunden war. Aber jetzt, aus der Nähe betrachtet, sah er überhaupt nicht mehr aus wie ein Fötus. Die Kreatur sah alt aus, furchtbar alt, so alt, dass sie geschrumpft und in sich eingesunken war.
    »Oh Gott …«, flüsterte Audrey erneut. Summer heulte.
    Dee stand sprungbereit da, geschmeidig wie eine Katze, perfekt ausbalanciert.
    »Soll ich?«, fragte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Jenny öffnete den Mund, aber bevor sie irgendetwas sagen konnte, begann das Ding vor ihr zu sprechen.

    »Können wir euch mitnehmen? Wir können euch tragen« , sagte es und sah Jenny dabei mit Augen an, die wie die eines Tigers leuchteten.
    Dann kicherte die Kreatur, wild und obszön, und huschte davon.
    Ich habe Julian nie gefragt, wer diese kleinen Kreaturen eigentlich sind, fiel es Jenny ein. Sie war davon überzeugt gewesen, dass sie keine Schattenmänner waren, so abscheulich wie sie aussahen. Jetzt schaute sie zu ihm hinüber und hoffte, dass er irgendeine Erklärung haben würde, dass er ihr sagen würde, dass sie mit ihrer Vermutung falschlag.
    Er war vorgetreten. Sein schwarzer Mantel war mit Eis überzogen, sein Haar schimmerte, als sei es aus Frost gemacht. Nie hatten sein schön gemeißeltes Gesicht und sein Mund perfekter ausgesehen.
    »Wer sind sie?«, flüsterte Jenny.
    »Meine Vorfahren«, antwortete er – und machte damit ihre letzte Hoffnung zunichte.
    »Diese – Dinger ?« Es war ihr unmöglich, sie mit Julian in Verbindung zu bringen.
    Ohne erkennbare Gefühlsregung sagte er: »Das ist es, wozu wir werden. Das ist es, wozu ich werde. Es ist unausweichlich.«
    Jenny schüttelte den Kopf.
    »Wie?«, fragte Zach scharf. Wahrscheinlich ist er am wenigsten von uns allen abgestoßen, schoss es Jenny
durch den Kopf – wegen seines Fotografengehirns. Er ist fasziniert von grotesken Dingen.
    Aber Jenny war nicht fasziniert. Nicht von solchen Dingen, oh nein, von so etwas niemals.
    »Sehen sie wirklich so aus? Oder wollen sie uns nur Angst machen?«, hörte sie sich fragen.
    Julian sah sie mit seinen seltsam verschleierten Augen an. »Das sind ihre wahren Gestalten.« Mit ausdrucksloser Miene blickte er zu ihnen hinüber. »Wir werden in Vollkommenheit geboren«, erklärte er, ohne Bescheidenheit oder Arroganz – ohne irgendein Gefühl, soweit Jenny das beurteilen konnte. »Aber während wir altern, verwandeln wir uns. Es ist unausweichlich – die äußere Form verändert sich, um unsere innere Natur widerzuspiegeln.« Er zuckte die Achseln. »Wir werden zu Ungeheuern.«
    Das Gedicht. Das Gedicht auf Grandpas Schreibtisch, dachte Jenny. Endlich verstand sie es, verstand die Zeile, die beschrieb, dass sie alte Knochen betasten. Das hier waren solche Kreaturen, die in einer Grube sitzen und genau das tun würden. Aber aufgrund von Julians Schönheit wäre sie nie darauf gekommen.
    Sie versuchte, nicht daran zu denken, versuchte, die Vorstellung nicht zuzulassen, dass Julian so aussah wie sie, so verzerrt, so entwürdigt. Das konnte gar nicht sein – aber er hatte gesagt, es sei unausweichlich.
    »Allerdings weiß ich nicht, was sie hier wollen«, fuhr
Julian fort. »Das hier ist nicht ihr Spiel; sie haben nichts damit zu tun.«
    »Da irrst du dich«, sagte ein hochgewachsener Schattenmann. Er hatte die Augen eines Krokodils. Seine Stimme war jedoch schockierend schön, wie aus weiter Ferne und so einsam wie ein Windspiel aus Eis.
    »Es ist unser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher