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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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My love to you, Faraday.«
    Schönbein schrieb nicht mehr zurück.
    Einmal kam der Chemiker Henry Roscoe vorbei und fragte nach den Goldfolien, mit denen Faraday Lichtexperimente gemacht hatte. Sarah wollte helfen, indem sie ihn fragte, ob er sich nicht erinnerte an die schönen Experimente.
    »Ja«, sagte er glücklich und mit zitternder Stimme, »Gold.«
    Und nach einer langen Pause, in der das Zittern auf Roscoe übersprang, glücklich wie ein Kleinkind: »Gold, Gold.«
    Wie seine Gedanken benahmen sich auch Hände, Arme und Beine, alles an ihm zitterte und wackelte, Muskeln und Organe waren mit so wenig Energie versorgt, dass reines Sitzen das Beste war, was er tun konnte, bis der Herrgott, der sich in letzter Zeit fast nur noch in der Zukunft aufhielt, an seinem riesigen Schaltpult ein flackerndes Licht entdeckte. Die Diode, an der Michael Faraday stand, kannte er gut. Sie flackerte schon sehr, sehr lange, denn der Herrgott hatte die mit einem Steckkontakt befestigte Diode, weil sie ihm zu hell war, schon vor Jahrzehnten mit Daumen und Zeigefinger vorsichtig gelockert und ein klein wenig herausgezogen. Er hatte aufgepasst, dass er sie nicht aus Versehen ganz herauszog, wie es ihm zum Beispiel bei Humphry Davy nach ein, zwei Funkenschlägen unterlaufen war, und hatte sie dann locker stecken gelassen.
    Sie hatte auch nach dem Eingriff meistens sauber geleuchtet, immer noch heller als andere, und sehr wenig geflackert. Nun leuchtete sie kaum noch, nur ab und zu blinkte sie noch einmal sichtbar auf. Nicht auszuschließen, dass noch ein dünner Ruhestrom ein durchgängiges Glimmen erzeugte, das konnte er in dem dauernd wachsenden Lichtermeer der fünf Millionen Dioden allein für London nicht beurteilen. Wahrscheinlich war der lockere Kontakt langsam oxidiert. An einem der Beinchen der Diode sah er einen weißen, pudrigen Besatz, das sah schon korrodiert aus. Erstaunlich, dachte er, wie sehr der Strom doch von sich aus
dadurch wollte, damit das kleine Lämpchen weiterbrannte. Der Herrgott lächelte. Mit dem Daumen konnte er auf das Lichtlein drücken, die dünne Oxidschicht wäre abgerieben worden, der Kontakt hätte wieder volle Spannung bekommen, und das Licht hätte geleuchtet wie am ersten Tag. Aber was soll’s, dachte er, als er die Diode mit Daumen und Zeigefinger herauszog und zu den anderen in den Eimer warf, der neben dem Schaltpult stand, wodurch hinter Faradays Augen das letzte Licht erlosch. Alle Ströme, auch die in den Windungen der Nerven selbstinduzierten Restströme verebbten in zwei, drei, vielleicht vier schwächer werdenden Regungen wie die Wellen eines vorbeigefahrenen leichten Bootes am Strand von Ramsgate. Sein Kopf fiel auf die Seite, die linke Hand rutschte am Sessel hinab, die rechte ließ im Schoß das Buch los, das sie eben noch unwissend gehalten hatte. Die letzten lebendigen Bilder von ihm waren schon eine Million Kilometer entfernt.
    Der Herrgott ließ seinen Blick weiter über das Schaltpult wandern, prüfend, ob es noch etwas zu reparieren gab. Sarah, die neben Faraday so auf einem Stuhl gesessen hatte, dass er sie sehen konnte, seufzte. Sie schloss ihm die Augen, setzte ihn gerade, legte seine Hände, die sie so gut kannte, ineinander und nahm das Buch an sich. Sie stand auf, um sich einen Tee aufzusetzen und sich ein Tuch auf die Augen zu drücken.
    »Fleiß und Gewissenhaftigkeit, der aufrichtige Wunsch nach einem Leben in Gottesfurcht, höchste Befriedigung durch bewiesene Wahrheit, Demut, Bescheidenheit, Geduld und der hohe Wert bestimmten und zuverlässigen Wissens«, sagte Reverend Samuel Martins, Gemeindepfarrer von Westminster, später, »waren die sieben leuchtenden Punkte in Faradays Charakter.«
    Er blickte anschließend sehr wohlmeinend in Sarahs Augen, die sich bedankte. Sie würde sich ihren verbliebenen Sandemaniern zuwenden. Viele waren es nicht mehr. Sie hatten kaum Zulauf und sich im Streit über die richtige Art der Schlachtung gespalten.
    Als Sarah aus der Kirche in den Londoner Smog trat, brüllten Zeitungsjungen ihr entgegen, was auf den hochgehaltenen Seiten in fetten Lettern nicht zu übersehen war: »Eine Vierzigstelsekunde! Eine Vierzigstelsekunde!« Das war die Zeit, die ein Signal durch das nach einigen Anläufen von der Great Eastern endlich erfolgreich verlegte Kabel jetzt von London nach New York brauchte.
    6 William Kemmler
    Sarah lebte, bis Albert Einstein geboren wurde, und wie sie die Vierzigstelsekunde gemessen hatten, fragte der sich sofort, als
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