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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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ihm zugewandt ergänzt, ein Satz, den Albert so langsam wie alles andere wand und drehte, um zu sehen, ob ein Sinn darin steckte. Dass er nicht gleich einen fand, bedeutete gar nichts. Er wusste auch nicht, ob der Lehrer das freundlich gemeint hatte oder unfreundlich. Er wusste nur, dass, hätte es ihn betroffen, er widersprochen hätte. Deshalb hatte der Lehrer wohl gleich gesagt, es betreffe ihn nicht. So einer war er, aber interessanter war sowieso das Kabel und wie die Schwingungen aus ihm herauskamen, die wie Licht waren, nur unsichtbar.
    Zehn Jahre später in Aarau hatte er sich, unsportlich wie er war, durch die Formeln von Maxwell geturnt. Mit ein wenig Übung war das sehr viel leichter, als es im ersten Moment aussah. Es gab Quellen und die Änderungen der Feldstärke mit den Raumrichtungen oder der Zeit. Längst wusste er auch, dass Hertz sich mit t schrieb, zum Glück. Das war männlicher. Als Heinrich Hertz hatte Albert den Namen sofort wiedererkannt, als er kurz vor der Flucht aus München von ihm hörte. Heinrich Hertz war ein handfester Name, fand Albert, und, was selten war, je länger man ihn vor sich hindachte, desto handfester wurde er. Heinrich Hertz war sechsunddreißigjährig gestorben. Laut seinem Lehrer Hermann von Helmholtz hatte Heinrich Hertz sich durch seine Entdeckung bleibenden Ruhm in der Wissenschaft gesichert: »Ihm selbst ist es dabei nur um die Wahrheit zu tun gewesen, die er mit äußerstem Ernst und mit aller Anstrengung verfolgte«, hatte Helmholtz gesagt, »nie machte sich die geringste Spur von Ruhmessucht oder persönlichem Interesse bei Heinrich Hertz geltend.«
    Heinrich Hertz hatte einen Draht zum Kreis gebogen, mit einem kleinen Spalt an einer Stelle, und Strompulse darauf geleitet, die am Spalt einen Funken erzeugten. Er hatte ihn Rundfunk genannt. Ein zweiter, in einigem Abstand aufgestellter gleichartiger Kreis erzeugte dann ebenfalls Funken, im selben Moment, ohne selbst einen Strompuls zu benötigen. Das war so, als telepathierten sie miteinander. Anders konnte man das nicht bezeichnen. Der Abstand spielte quasi keine Rolle, exakt genau so, wie die Theorie vom längst mit achtundvierzig Jahren verstorbenen Maxwell es vorgab.
    Einstein schrieb in sein Aarauer Tagebuch, die Verschmelzung der Optik mit der Elektrodynamik sei eine Offenbarung.
    Aus einer Zeitschrift hatte er ein Foto von Michael Faraday geschnitten, es hing nun an der Wand, rechts neben dem Fenster. Der Mann mit dem Backenbart und den müden Augen – nein, es waren nicht die Augen, sondern das Gesicht, das Müdigkeit ausstrahlte, die Augen waren hellwach –, dieser Mann hatte die Motoren erfunden und die Generatoren, seine Induktion war der Witz des
Telegraphen, in dessen Kabel Siemens laut Alberts Vater die Welt gewickelt hatte, und das Licht hatte Faraday als Erster in seinem Wesen erkannt. Alles, was in Albert Einsteins Leben war, hatte Faraday berührt. Das große Transatlantikkabel hatte auch nicht Siemens, sondern die Atlantic Telegraph Construction Company mit der Great Eastern gelegt, dem größten Schiff der Welt, einem Riesen, gebaut von Isambard Kingdom Brunel: Ein Freund Faradays. Brunel hatte sie bis zur Jungfernfahrt die Great Babe genannt, was genauso belächelt worden war wie alles andere an dem Schiff. Die Jungfernfahrt selbst hatte Brunel nicht mehr erlebt, zum Glück vielleicht, denn die Great Eastern rechnete sich nie, wie Albert las. Sie war ein Geldgrab.
    Als das Schiff nach ein paar Ozeanüberquerungen mit sehr wenigen Passagieren und vielen Unfällen für ein Zwanzigstel seiner Kosten den Besitzer wechselte und zu einem Kabelleger umgebaut wurde, lebte Faraday noch. Kein anderes Schiff hätte das gesamte Kabel aufnehmen können. Für die Verladung brauchten sie Monate, las Einstein in einem Fachblatt für Ingenieure.
    Faraday hatte das nicht mehr wahrgenommen. Er saß meist in seinem Sessel mit Blick nach Westen über den Hampton Court Green und sah bewegungslos hinaus. Wer sich noch im Zimmer befand, vergaß er, kaum dass derjenige aus seinem Blickfeld trat. Schlafen und Wachen unterschieden sich nicht voneinander. Das langsame Zergehen der Kraft und des Lebens genoss er nun, denn wenn es einmal besser ging, dann so wenig, dass er es gar nicht mehr wünschte. Er begrüße das angesichts des Sterbens, das um ihn herum stattfand. An Schönbein, den engsten Freund, hatte er geschrieben: »Ob es noch mal besser wird – die Konfusion – weiß nicht. Ich werde nicht mehr schreiben.
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