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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts
Autoren: Ralf Bönt
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eine höhere Stufe der Zivilisation erreicht. Kemmler hing vornüber, so weit es die Lederriemen erlaubten. In die Stille hinein hörten erst die Zeugen in den vorderen Reihen, dann auch die im Rückraum sein Atmen und Röcheln, in das sich die Muckser und binnen weniger Sekunden die Schreie der Anwesenden mischten.
    Kemmler hob den qualmenden Kopf und sah eine Frau in der ersten Reihe mit einem Auge an. Das andere war verschmort, gelbliche Flüssigkeit lief heraus und tropfte vom Kinn auf den Anzug.
    Southwick rannte in den Nebenraum und kam nicht wieder. Der Henker sollte den Strom erneut einschalten, aber der Generator war abgestellt. Während aus den Hosenbeinen von Kemmlers Anzug Urin, Blut, Wasser und flüssiger Kot liefen und eine schlierige Lache auf dem Steinboden bildeten, fiel erst ein Mann in der letzten Reihe, dann einer weiter vorne in Ohnmacht. Mehrere Anwesende erbrachen sich. Die meisten anderen rannten hinaus, während der Generator endlich aufheulte. Sie mussten warten, bis genug Spannung aufgebaut war. Der Delinquent röchelte, hatte das intakte Auge aber geschlossen.
    Nach dem Ablauf einer Minute konnte Kemmler mit Strom versorgt werden, der ihn aufrichtete wie ein Ausrufezeichen und sein Röcheln in einen nie gehörten und von den Anwesenden nicht zu vergessenden Laut übergehen ließ, bevor er, stinkenden Qualm absondernd, tot zusammensackte.
    Es war eine Frau, die ihrer Empörung Ausdruck verlieh und der Meinung war, dass Töten ohne Töten nicht möglich sei, aber noch verstand man sie nicht. Edison fragte keiner mehr nach seiner Meinung. Albert überlegte, ob er mehr an Gott zweifeln sollte oder an seinen Artgenossen, und ob Affen so etwas auch machten, wären sie intelligent genug.
    »Sie haben es vermasselt«, meinte Jakob, aber weder er noch Hermann überdachten ihre Einstellung zum Wechselstrom, denn »damit hatte es ja eh nichts zu tun«.
    7 Das Ende der Physik
    Bis Einstein Deutschland verließ und auch die Rauchpilze, die er vom Blitz des Fotografen kannte, als seine überdimensionierten, wahr gewordenen Alpträume über Japan fotografiert wiedersehen sollte, weil seine Artgenossen nichts Besseres wussten, als dass die Welt für ihre Widersprüche zu klein war, dauerte es noch. In Aarau ahnte er davon nichts, als er durch Maxwells Theorie turnte.
    Er war abgelenkt von dem Geräusch hoher Schuhe auf dem Gehweg vor dem Haus. Eigenartigerweise kamen sie weder näher, noch entfernten sie sich. Er hörte genau hin. Sie hatten keine Richtung. Eine Minute ging das mindestens so: Tack-Tack-Tack-Tack-Tack-Tack-Tack-Tack.
    Dass sich Schallwellen so benehmen können wie Geschosse, dachte er, von jedem einzelnen getroffen: Merkwürdig.
    Er klappte das Heft zu, dem er die Offenbarung anvertraut hatte, schloss es im Schreibtisch weg, knipste das Licht aus und begab sich in die Küche, wo es nach Kartoffelpüree roch und er Marie Winteler, die dafür sehr empfänglich war, Augen machen konnte. Immer häufiger musste er an den nächsten Sündenfall denken, immer öfter von ihm sprechen, wenn er mit seinen Freunden zusammen war. Als habe er keine Kontrolle über sich.
    Bald verließ er das Haus, um in Zürich zu studieren, Physik, und gegen den Willen der Eltern, die ihn gern in der Firma gesehen hätten. Nach einer zweiten Pleite starteten sie gerade den dritten Versuch. Albert Einstein hatte aber im kleinen Finger mehr Eigensinn als seine beiden Eltern zusammen. Deshalb störte ihn auch ein anderer gut gemeinter Rat nicht: »Die Physik«, wurde ihm überall begeistert gesagt, »ist mit Maxwells Theorie der elektromagnetischen Wellen zu Ende. Schöner geht es nicht. Da kommt sicher nichts Neues mehr.«
    Er tat es dennoch, denn das Studium der Natur war besser als die ewig wechselnden Wünsche des täglichen Lebens. Er beendete das Studium, brach zwei Doktorarbeiten ab, war arbeitslos, zog nach Bern, wo er Privatgelehrter war und Patentbeamter dritter Klasse. Sein Vater Hermann Einstein erlaubte nach endlosen Querelen auf seinem Sterbebett die Heirat mit der Serbin Mileva Maric´.
    Bei einem Freund sah Einstein ein versehentlich nur sehr kurz belichtetes Foto der Berner Berge, das ihn beschäftigte: Es zeigte nicht etwa das ganze Bild sehr blass und schwach, sondern nur einzelne Punkte. Eine Kontur gab es nicht. Er probierte es mit
einem Fotoapparat und dem Fotolabor seines Freundes Michele Besso selbst aus und fand, dass die Berge erst bei längerer Belichtungszeit auf dem Foto entstanden, nicht aus
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