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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard
Autoren: Sommerlügen
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Bernhard
Schlink
     
    Sommerlügen
     
    Geschichten
     
    Inhalt
     
    Nachsaison  
7
    Die
Nacht in Baden-Baden   47
    Das
Haus im Wald   85
    Der
Fremde in der Nacht   127
    Der
letzte Sommer   169
    Johann
Sebastian Bach auf Rügen  213
    Die
Reise nach Süden   239
     
     
    Nachsaison
     
    1
     
    Vor der Gepäckkontrolle mussten sie Abschied nehmen. Aber
weil in dem kleinen Flughafen alle Schalter und Kontrollen in einem Raum
untergebracht waren, konnte er ihr mit den Augen folgen, als sie ihre Tasche
auf das Band legte, durch den Detektor ging, die Bordkarte vorzeigte und zum
Flugzeug geführt wurde. Es stand gleich hinter der Glastür auf dem Rollfeld.
    Sie
sah immer wieder zu ihm und winkte. Auf den Stufen zum Flugzeug drehte sie sich
ein letztes Mal um, lachte und weinte, legte ihre Hand auf ihr Herz. Als sie im
Flugzeug verschwand, winkte er den kleinen Fenstern zu, wusste aber nicht, ob
sie ihn sah. Dann wurden die Motoren angeworfen, die Propeller drehten sich,
das Flugzeug rollte an, wurde schneller und hob ab.
    Sein
Flug ging erst in einer Stunde. Er holte sich Kaffee und Zeitung und setzte
sich auf eine Bank. Seit sie sich kennengelernt hatten, hatte er keine Zeitung
mehr gelesen und nicht mehr alleine über einem Kaffee gesessen. Als er nach
einer Viertelstunde noch immer keine Zeile gelesen und keinen Schluck
getrunken hatte, dachte er: Ich habe das Alleinsein verlernt. Er mochte den
Gedanken.
     
    2
     
    Vor
dreizehn Tagen war er angekommen. Die Saison war zu Ende und mit ihr das schöne
Wetter. Es regnete, und er verbrachte den Nachmittag mit einem Buch auf der
überdachten Veranda seines Bed & Breakfast. Als
er sich am nächsten Tag in das schlechte Wetter schickte und im Regen am Strand
zum Leuchtturm wanderte, begegnete er der Frau zuerst auf dem Hin- und dann auf
dem Rückweg. Sie lächelten einander an, neugierig beim ersten Mal und schon ein
bisschen vertraut beim zweiten. Sie waren weit und breit die einzigen Wanderer,
und sie waren Leidens- und Freudengenossen, hätten beide lieber einen klaren,
blauen Himmel gehabt, genossen aber den weichen Regen.
    Am
Abend saß sie alleine auf der großen, mit Plastikdach und -fenstern bereits
herbsttauglich gemachten Terrasse des beliebten Fischrestaurants. Sie hatte ein
volles Glas vor sich und las ein Buch - Zeichen, dass sie noch nicht gegessen
hatte und nicht auf ihren Mann oder Freund wartete? Er stand unschlüssig in der
Tür, bis sie aufschaute und ihn freundlich anlächelte. Da fasste er sich ein
Herz, ging zu ihrem Tisch und fragte, ob er sich zu ihr setzen dürfe.
    »Bitte«,
sagte sie und legte das Buch zur Seite.
    Er
setzte sich, und weil sie schon bestellt hatte, konnte sie ihn beraten, und er
wählte den Kabeljau, den sie auch gewählt hatte. Dann wussten beide nicht, wie
sie ins Gespräch finden sollten. Das Buch half nicht; es lag so, dass er den
Titel nicht lesen konnte. Schließlich sagte er: »Hat was, ein später Urlaub auf
dem Cape.«
    »Weil
das Wetter so gut ist?« Sie lachte.
    Machte
sie sich über ihn lustig? Er sah sie an, kein hübsches Gesicht, die Augen zu
klein und das Kinn zu kräftig, aber der Ausdruck nicht spöttisch, sondern
fröhlich, vielleicht ein bisschen unsicher. »Weil man den Strand für sich hat.
Weil man in Restaurants einen Tisch findet, in denen man in der Saison keinen
fände. Weil man mit wenigen Menschen weniger alleine ist als mit vielen.«
    »Kommen
Sie immer nach dem Ende der Saison?«
    »Ich
bin das erste Mal hier. Eigentlich müsste ich arbeiten. Aber mein Finger macht
noch nicht mit, und seine Übungen kann er ebenso hier machen wie in New York.«
Er bewegte den kleinen Finger der linken Hand auf und ab, beugte und streckte
ihn.
    Sie
sah dem kleinen Finger verwundert zu. »Wofür übt er?«
    »Für
die Flöte. Ich spiele im Orchester. Und Sie?«
    »Ich
habe Klavier gelernt, spiele aber nur noch selten.« Sie wurde rot. »Das meinen
Sie nicht. Ich bin als Kind mit den Eltern oft hier gewesen und habe manchmal
Heimweh. Und nach dem Ende der Saison hat das Cape den Reiz, den Sie
beschrieben haben. Alles ist leerer, ruhiger - ich mag das.«
    Er
sagte nicht, dass er sich einen Urlaub während der Saison nicht leisten
könnte, und nahm an, dass es ihr ebenso ging. Sie trug Turnschuhe, Jeans und Sweatshirt, und über der Lehne des Stuhls hing eine ausgeblichene
gewachste Jacke. Als sie zusammen die Weinkarte studierten, schlug sie eine
billige Flasche Sauvignon Blanc vor. Sie erzählte von Los
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