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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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ihren Kindern die Augen getauscht.
    Der König gab ihnen Wathos Schloss und Ländereien, und sie lebten zusammen und lernten voneinander viele Jahre lang, die wie im Flug vergingen. Und kaum war das erste vorüber, da liebte Nycteris schon am meisten den Tag, denn er war das Gewand und die Krone von Photogen, und sie sah, dass der Tag größer war als die Nacht und die Sonne herrschaftlicher als der Mond; und Photogen liebte am
meisten die Nacht, denn sie war die Mutter und die Heimat von Nycteris.
    Obwohl manche der Worte mir seltsam vorkamen, keimte Hoffnung in mir auf. Das Ende fühlte sich richtig an: Der Tagjunge heiratete das Nachtmädchen. Ihr Triumph gab mir Vertrauen.
    Genau in diesem Moment kam der Wagen ruckend zum Stehen.
    »Wir sin’ da«, sagte Draufgänger zu uns, dann schrie er: »Der Händler is da! Macht auf!«
    Behutsam schob ich Tegan ein Stück beiseite und kam auf die Knie, um etwas sehen zu können. Es verschlug mir den Atem: Ich sah eine oberirdische Enklave, umgeben von einer hohen Mauer aus Holz. Über dem Tor standen Männer mit Waffen, die genauso aussahen wie die unseres Retters. Mit unbeweglichen Gesichtern schauten sie herunter, musterten den alten Mann, seine Ladung und uns, bevor sie uns hineinwinkten. Die meisten von ihnen waren jünger als Draufgänger, aber älter als wir. Mehr konnte ich nicht erkennen.
    Mein Herz wurde leichter, als jemand das Tor öffnete und die Maultiere langsam hindurchtrotteten. Sie bewegten sich, als ob sie sehr müde wären, was auch nicht verwunderlich war, nachdem sie uns die ganze Nacht hinter sich hergezogen hatten. Ich legte das Buch weg und saugte den Anblick von Erlösung in mich auf.
    Dieser Ort war ein Wunder . Alle Gebäude waren neu, aus Holz und Lehm oder etwas Ähnlichem gebaut, und manche waren sogar mit frischer weißer Farbe gestrichen. Menschen
gingen offen durch die Straßen, und keiner von ihnen schien bewaffnet zu sein. Sie waren sauber und gut genährt.
    »Hier ist es«, sagte Bleich. »Mein Dad hatte recht.«
    Als der Wagen stehen blieb, ignorierte ich den Schmerz in meiner Seite und kletterte hinunter. Das Fieber war vorbei, und mein Kopf wieder einigermaßen klar.
    »Lass uns dich zu Doc Tuttle bringn«, sagte Draufgänger. »Nimm auch das andre Mädchen mit. Wenn sie gerettet werdn kann, dann is er der Mann dafür. Wenn nich, wird er ’n paar tröstende Worte für ihre Seele sprechn.«
    Seele , wieder ein neues Wort. Ich hatte es noch nie gehört, aber ich brachte es instinktiv mit dem in Verbindung, wie ich Seide immer noch in mir gespürt hatte, als ich bereits wusste, dass die Freaks sie längst gefressen haben mussten.
    »Danke«, sagte ich.
    Bleich trug Tegan den ganzen Weg. Sein Rücken musste fürchterlich wehtun, aber er stolperte nicht ein einziges Mal. Pirscher hatte unsere Sachen eingesammelt und blieb immer wieder stehen, um sich umzusehen. Ich wusste genau, was er fühlte.
    Die Menschen in Erlösung zeigten genauso starkes Interesse an uns wie wir an ihnen. Zweifellos sahen wir dreckig und verwildert aus. Die Holzmauer umschloss die ganze Enklave, und an jedem verwundbaren Punkt der Mauer standen Leute, die ich für Jäger hielt, und wachten über die Sicherheit derer, die dort lebten. Auch hier musste es Zeuger geben, die dafür sorgten, dass eine neue Generation entstand, Schaffer, die die Dinge herstellten, die die Menschen hier brauchten. Es war gar nicht so anders als das, was ich immer gekannt hatte, nur dass alles neu und sauber war und die Luft viel besser roch.

    »Da wärn wir. Bringt sie schon mal rein. Doc!«, rief Draufgänger. »Ich hab Arbeit für dich.«
    »Hat dich eins von deinen Maultieren gebissen … Oh!« Der Mann, der den Raum betrat, war klein und dick, und er hatte eine Glatze. Und wie Draufgänger war er nicht mehr jung. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es einen Ort gab, an dem die Leute auf diese Weise alt werden konnten, anstatt zu schwinden und zu vertrocknen, wie wir es Unten taten.
    »Das arme Ding hat sich mit ’nem Stummie angelegt. Hoffe, du kannst ihr helfn. Ich seh in der Zwischenzeit besser mal nach mei’m Wagen, bevor die Leute auf die Idee komm’, sich schon mal selber zu bedien’.«
    »Habt ihr die Wunde kauterisiert?«, fragte der Mann, den unser Retter Doc Tuttle genannt hatte.
    Ich schaute die anderen an und sagte: »Wir haben sie mit einem glühenden Messer verschlossen. Sie hat geblutet wie aus Eimern, und wir waren auf Freakgebiet.«
    »Das ist genau, was ich
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