Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
Vom Netzwerk:
Gesicht, bis sie keine mehr hatte.
    Ich blickte auf und sah Pirschers Gedanken in seinen Augen. Wir können ihr das ersparen. Es jetzt beenden und weiterziehen, bevor wir zu schwach sind . Hätte ich nur auf meine Jägerinstinkte gehört, hätte ich ihm zugestimmt, aber mittlerweile waren auch andere in mir erwacht.
    »Geben wir ihr bis Sonnenuntergang«, sagte ich leise. »Ihr beide sucht nach Wasser. Holt noch mehr Holz.«
    Pirscher zog die Augenbrauen hoch. »Du bist besessen von diesem Feuer.«
    Ja, das war ich. Lass das Feuer nicht ausgehen , hatte Seide gesagt. Es war ein Versprechen, dass wir überleben würden, solange wir uns daran hielten. Ich würde sie nicht enttäuschen.
    »Ich gehe jagen«, sagte Bleich. »Heute werde ich mehr fangen.«
    »Danke.« Aber es war nicht das Essen, das mir an diesem Tag die größten Sorgen bereitete. Wasser und Holz, ohne diese beiden Dinge würden wir nicht überleben.
    Als Bleich und Pirscher weg waren, flüsterte ich Tegan kleine Dinge zu, die die Zeuger mir immer erzählt hatten, und ich las ihr aus dem Buchstaben-Buch vor. »A wie in Apfel …«
    Von Zeit zu Zeit weinte Tegan. Manchmal lächelte sie. Einmal öffnete sie die Augen und versuchte sich aufzusetzen, sah mich aber nicht. Ich schob ihr das verschwitzte Haar aus dem Gesicht und erkannte meine schlimmste Angst: dass ich sie verlieren könnte, bevor ich ihr gesagt hatte, wie viel sie mir bedeutete.

    »Stirb nicht«, sagte ich. »Du bist meine einzige Freundin.«
    Tegan war anders. Sie verlangte nichts. Bei Tegan gab es keine verwirrenden Zwischentöne. Ich konnte einfach mit ihr sprechen, und das war alles, was ich mit Worten bezwecken wollte. Vielleicht hätte es Bleich verletzt, wenn er mich gehört hätte. Es war mir egal.
    Möglicherweise begriff ich jetzt, wie Bleich sich wegen Banner und Pearl gefühlt hatte. Ich hatte nie Freunde auf diese Weise verloren, hatte nicht ihre Leichen gesehen. Fingerhut und Stein waren wahrscheinlich tot, wie der Rest der Enklave. Bleich hatte recht: Es war etwas anderes, und jetzt verstand ich ihn besser. Ich wünschte mir, ich könnte noch einmal in der Zeit zurückgehen und ihm all die Aufmerksamkeit und den Trost zukommen lassen, die ich ihm vorenthalten hatte, weil ich nicht begriffen hatte, wie sehr er sie brauchte.
    »Geh nicht«, flüsterte Tegan.
    »Das werde ich nicht. Ich bleibe bei dir.«
    »Ich mag es nicht, wenn du gehst, Mama.« Mit schwachen Fingern hielt sie meine Arme umklammert, aber sie sah jemand anderen an meiner Stelle. Ich stellte mir ihre Mutter vor, wie sie sich davonschlich, um etwas zu essen zu beschaffen, und Tegan allein ließ. In der Enklave war ich nie allein gewesen.
    Es gab verschiedene Arten von Stärke. Das wusste ich jetzt. Stärke hatte nicht immer mit Messern zu tun oder der Bereitschaft zu kämpfen. Manchmal bedeutete sie Beständigkeit und Durchhaltevermögen, wie eine stille verborgene Quelle. Manchmal bedeutete sie Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit zu verzeihen.

    Die anderen beiden waren lange weg, und Tegan verstummte schließlich, aber nicht weil sie sich erholt hatte und das Fieber nachließ; es war eher, als hätte sie in ihrem Kampf alle Energie aufgebraucht, und jetzt würde sie ganz einfach sterben.
    Diesmal kam Bleich als Erster zurück. Er hatte mehrere Vögel und einen Hasen gefangen. Außerdem hatte er Wasser zum Abkochen dabei, in dem Topf, den wir aus unserem Winterunterschlupf mitgenommen hatten. »Ich habe einen Teich gefunden. Er war ziemlich seicht und trüb, aber …« Er zuckte die Achseln.
    Wir konnten nicht mehr besonders wählerisch sein. Die Hitze würde die meisten schädlichen Dinge darin töten. Es dauerte eine Zeit, bis es abkühlte, Tegans Lippen waren mittlerweile trocken und aufgesprungen. Ich tröpfelte etwas von dem Wasser in ihren Mund, und sie schluckte sogar, aber ich hatte nicht die Hoffnung, dass Wasser allein genügte. Als ich ihre Wunde untersuchte, sah ich, dass sie angeschwollen war. Oh nein .
    Bleichs Gesicht wurde düster, aber er machte sich an die Arbeit mit den Vögeln und dem Hasen, häutete sie und nahm sie aus – weit genug von unserem Versteck entfernt, damit die Eingeweide keine Aasfresser zu uns locken würden, während wir schliefen.
    Wenig später kam Pirscher mit einer großen Ladung Holz zurück. Er musste diesmal weiter gelaufen sein.
    »Ich habe einen kleinen Erkundungsgang um das Gebiet gemacht. Scheint alles ruhig zu sein«, bestätigte er meine Vermutung.
    »Gut zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher