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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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gewann bei beiden die Sorge die Oberhand, und sie ließen ihren Streit erst einmal ruhen.
    Ich beschloss, ihnen nicht zu erzählen, dass ich Seide gesehen hatte. Wahrscheinlich hätten sie mir sowieso nicht geglaubt.
    »Wie geht es Tegan?«, fragte ich.
    »Du warst nicht lange weg. Unverändert«, versicherte mir Bleich.
    Ein Seufzer der Erleichterung kam über meine Lippen, und ich lehnte mich vorsichtig gegen die Wand aus Erde hinter mir. In meinem Bauch brannte eine unerträgliche Hitze, aber ich konnte es aushalten. Ich musste.
    »Sammelst du noch mehr Holz fürs Feuer?«, fragte ich Pirscher. »Wir werden es brauchen.«
    Ich erklärte meine Bitte nicht weiter. Bleich stand auf. »Ich werd mal sehen, ob ich ein paar Vögel fürs Abendessen auftreiben kann.«
    Er war unglaublich schnell mit Steinen. Oft erwischte er die Vögel mit dem ersten Wurf und brach ihnen das Genick, während sie noch benommen am Boden lagen. Nach diesem langen Tag stand mir nicht der Sinn nach Essen, ich wollte nur schlafen, aber ich konnte Tegan auch nicht unbewacht lassen. Wahrscheinlich war ich in meinem Zustand keine sonderlich gute Beschützerin, aber Tegan war immer noch bewusstlos.
    Bevor Pirscher und Bleich gingen, vergewisserte ich mich, dass ich meine Dolche mit den Händen erreichen konnte. Ich war nicht sicher, ob ich aufstehen könnte, wenn es darauf
ankam, aber wenn ich die Sehnen hinterm Knie durchschnitt, richtete das schon mal einigen Schaden an und würde außerdem den Angreifer herunter zu mir auf den Boden holen. Ich beobachtete den Zugang zu unserem Versteck durch den nebligen Schleier auf meinen Augen. Die Welt um mich herum sah eigenartig grün und verschwommen aus.
    Als Pirscher zurückkam, war mir schwindlig. Er bückte sich, um das Feuer anzufachen, und ich packte mit beiden Händen seinen Unterarm. »Lass es nicht ausgehen. Versprich es.«
    »Ich behalt es im Auge.«
    »Nein, versprich , dass du das Feuer nicht ausgehen lässt!«
    So wie er mich anschaute, dachte er vermutlich, dass die Wunde mich wohl ein wenig verrückt gemacht hatte, aber er erwiderte: »Ich schwöre es. Ich werde so oft neues Holz holen, wie ich muss.«
    Das war alles, was ich hören wollte, und die Dunkelheit trug mich fort wie ein Fluss in der Nacht.
    Als ich aufwachte, war es bereits dunkel. Tegan zuckte in Fieberträumen, und mir ging es auch nicht sehr viel besser als ihr. Der Geruch von geröstetem Fleisch hing in der Luft. Gut.
    »Fühlst du dich wieder besser?«, fragte Bleich. »Hier.«
    Er reichte mir die Wasserflasche, und ich sah, wie wenig noch übrig war. Der Mond und die anderen Lichtpunkte leuchteten am Himmel, und die Luft hatte sich abgekühlt, aber das Feuer vertrieb die Kälte zumindest ein wenig. Vorsichtig trank ich einen kleinen Schluck. Es war unmöglich zu sagen, wie weit wir gelaufen waren und wann wir wieder sauberes Wasser finden würden.

    »Hunger?« Pirscher schnitt mir ein Stück Fleisch ab und ließ es an der Spitze seines Messers abkühlen.
    Ich aß es mit zwei Bissen auf, wollte mehr, sah aber gleichzeitig, dass es nicht mehr viel gab. »Ist Tegan schon aufgewacht? «
    Bleich schüttelte den Kopf. »Kein einziges Mal. Sie fragt immer wieder nach ihrer Mom.«
    »Wir müssen weiter«, sagte Pirscher und begann mit seinen Stiefeln Erde ins Feuer zu schieben, um es zu löschen.
    »Nein!« Ich stand halb auf und taumelte, überrascht, wie starke Schmerzen ich noch hatte. Ich presste eine Hand auf meine Seite und kämpfte gegen meine Übelkeit an. Hoffentlich musste ich mich nicht übergeben, ich brauchte das Essen.
    »Du willst die Nacht über hierbleiben?«, fragte Bleich.
    Nicht nur die Nacht über. Ich konnte nicht erklären, woher ich die Sicherheit nahm, aber Seide hatte etwas zu mir gesagt, etwas Wichtiges, etwas über Feuer. Wir mussten hierbleiben und es am Brennen halten. Ich wusste einfach, dass wir sterben würden, wenn wir weitergingen, und dann würde niemand unsere Geschichte hören, kein noch so kleines Stückchen davon.
    Aber ich konnte diese Gewissheit nicht in Worte fassen, die auch nur den geringsten Sinn ergeben hätten, deshalb sagte ich nur: »Ja. Vielleicht geht es Tegan morgen schon besser.«
    Aber das tat es nicht.
    Als es zu dämmern begann, brannte Tegan genauso heiß wie das Feuer, das, wie ich glaubte, auf keinen Fall ausgehen durfte. Ich wusch sie mit dem Rest des Wassers ab und versuchte,
ihr etwas davon einzuflößen. Sie zuckte und klagte und schrie. Tränen liefen über ihr
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