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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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ohnmächtig geworden, und ihre Haut bekam einen blassen, kränklichen Glanz. Ich sah, dass ihr Verband durchgeblutet war, und wenn wir die Blutung nicht stoppen konnten, würde sie sterben, so viel war klar. Knochensäge hätte die Wunde mit Nadel und Faden verschlossen, aber wir hatten keins von beidem, und deshalb fiel mir nur eines ein, was wir tun konnten.
    »Hol etwas Holz«, sagte ich zu Pirscher, »und mach ein Feuer.«
    Obwohl er ebenfalls erschöpft sein musste, stand er auf und tat, worum ich ihn gebeten hatte, sammelte als Erstes Gras, Blätter und heruntergefallene Zweige, dann lief er zu einem Baum, der in einiger Entfernung stand. Frische Äste würden Rauch entwickeln, aber daran war nichts zu ändern.
    Bleich saß schweigend bei ihr, Tegans Kopf auf seinen Schoß gelegt. Ich erkannte den Jägerinstinkt in ihm, der ihn hart machte und dafür sorgte, dass er die beschützte, die schwächer waren als er. Vielleicht war das der Grund, warum Tegan ihn so anzog: Sie brauchte ihn, weil sie selbst über keine derartigen Instinkte verfügte. In dieser Hinsicht hatte
Pirscher recht, sie war eine Zeugerin, aber ich hielt das nicht länger für eine Schwäche. Ohne sie würde unsere Welt nicht weiter existieren, nicht einmal in ihrem jetzigen jämmerlichen Zustand.
    Ich kratzte das verkrustete Blut von einem meiner Dolche ab, so gut es ging. Den Rest würden die Flammen erledigen.
    »Glaubst du, es funktioniert?«, fragte Bleich. Er wusste natürlich, was ich vorhatte.
    »Weiß nicht. Aber wenn wir die Wunde nicht verschließen …«
    »Ja …«
    Es dauerte nicht lange, da kam Pirscher zurück, die Arme voller Holz. Ich schichtete es auf, und wir entzündeten das Feuer, zuerst die Blätter und Zweige, damit auch das grüne Holz Feuer fangen würde. Es dauerte eine Weile, aber schließlich schafften wir es. Der Rauch würde zwar sämtliche Freaks in der Gegend anlocken, aber manchmal musste man eben den schwierigeren Weg wählen.
    Ich schnitt den Verband von Tegans Oberschenkel. »Wasser. «
    Wir hatten den Fluss schon eine ganze Weile hinter uns gelassen, und es war nicht mehr viel Wasser übrig. Ich verwendete es sparsam, wischte nur einen Teil des Blutes weg, damit ich sehen konnte, wie tief die Wunde ins Fleisch ging. Es sah schlimm aus, wahrscheinlich würde etwas zurückbleiben. Wenn sie wieder laufen konnte – das heißt, falls sie überlebte –, würde sie weit schlimmer humpeln als Fingerhut. Ich wusch mir die Hände, so gut es ging, rieb sie mit Banners Salbe ein und strich sie dick auf die Wunde. Dann hielt ich die Klinge des Dolches so lange in die Flammen,
bis sie glühte. Pirscher beobachtete mich stumm, und ich schaute zu Bleich hinüber.
    »Soll ich ihr den Mund zuhalten?«, fragte er.
    Ich nickte. Sie war zwar bewusstlos, trotzdem war es möglich, dass sie schrie. Mit der einen Hand presste ich die Wundränder zusammen, mit der anderen verbrannte ich sie. Mehr konnten wir nicht tun; wir hatten ja nicht mal Knochensäges armselige Ausrüstung zur Verfügung.
    Tegan schrie tatsächlich, ein schreckliches Heulen, das unter Bleichs Hand verstummte. Sie biss ihn mit aller Kraft und versuchte sich zu befreien, aber ich ließ nicht ab, bis ich sah, dass es funktioniert hatte. Dann zog ich die Klinge weg und hielt sie wieder in die Flammen, um sie sauberzubrennen. Die Wunde könnte sich immer noch infizieren und ihr Bein anschwellen lassen, und falls sie Fieber bekam … Ich kannte niemanden, der sich in den Tunneln davon erholt hätte.
    Meine Hände zitterten. Ich schloss für einen Moment die Augen und lehnte meinen Kopf gegen die Wand aus Stein und Erde in meinem Rücken.
    »Du hast dein Bestes getan«, sagte Bleich. »Mehr können wir nicht für sie tun.«
    An Pirschers Gesicht erkannte ich, dass er sie einfach zurücklassen würde. Sicher hätte er sich auch keine großen Gedanken um den blinden Balg gemacht. Er war die Verkörperung der Leitsätze der Jäger über Stärke und Überleben. Manchmal bewunderte ich das an ihm, aber jetzt nicht. Tegan war meine Freundin, auch wenn sie zwischen Bleich und mir stand. Es war nicht ihre Schuld, dass er sie anziehender fand als mich.

    »Jemand muss dasselbe jetzt bei mir machen«, sagte ich und zog den Stoff meines Pullovers hoch.
    Ich hörte die Luft zischend aus Bleichs Kehle entweichen, als er bemerkte, was ich dort versteckt gehalten hatte. Ich sah die Wunde, die die Klauen des Freaks mir beigebracht hatten, nicht einmal, aber den Gesichtern der
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