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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Autoren: Rachel Neumeier
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Prolog
    Maianthe konnte sich nicht an ihre Mutter erinnern und fürchtete sich vor ihrem Vater – einem kalten Mann mit rauer Stimme und einer Neigung zu verletzenden Worten, wann immer ihn seine Kinder ärgerten. Er bevorzugte seinen Sohn, der schon fast ein junger Mann war, als Maianthe zur Welt kam, und überließ seine Tochter zumeist der Obhut von Kindermädchen, von denen eines das andere ablöste, denn Dienstboten blieben selten lange in diesem Haus. Hätte Maianthe keine andere Gesellschaft gehabt als die Kindermädchen, wäre ihre Kindheit wirklich traurig verlaufen. Aber zum Glück war da ja noch Tef.
    Tef war Gärtner, darüber hinaus führte er so ziemlich jede Arbeit aus, die anfiel. Viele Jahre lang hatte er als Soldat gedient und in einem lange zurückliegenden Streitfall mit Casmantium einen Fuß verloren. Tef war kein junger Mann mehr und bewegte sich mithilfe einer Krücke fort, dennoch hatte er keine Angst vor Maianthes Vater. Und so kam Maianthe nie in den Sinn, dass Tef vielleicht einmal fortgehen könnte.
    Trotz des fehlenden Fußes trug er Maianthe auf den Schultern durch die Gärten. Sie durfte auch mit ihm in der Küche zu Mittag essen. Er zeigte ihr, wie man Blumen schnitt, sodass sie länger frisch blieben, und schenkte ihr ein Kätzchen, das zu einer riesigen schlitzäugigen grauen Katze heranwuchs. Tef konnte mit Katzen reden, und so trieben sich immer wieder Tiere dieser Art in den Gärten und in seinem Häuschen herum. Aber keine davon war so groß oder so würdevoll wie die graue Katze, die er Maianthe geschenkt hatte.
    Als Maianthe sieben war, machte sich eines der Kindermädchen daran, sie lesen und schreiben zu lehren. Dieses Kindermädchen hatte kaum damit begonnen, sie mit den Buchstaben und der Schreibung des eigenen Namens vertraut zu machen, als Maianthes Vater es auch schon wütend angiftete: Es hätte gutes Papier bei schlimmem Wetter im Freien herumliegen lassen , behauptete er und fügte dann hinzu: Wann hast du eigentlich vor, dem Kind vor Augen zu führen, wozu es geboren wurde? Ein sehenswerter Anblick ist schließlich bedeutsamer, als einem bloßen Mädchen das Lesen und Schreiben beizubringen! Das Kindermädchen kündigte daraufhin und verabschiedete sich tränenreich von Maianthe. Danach zückte Tef ein zerfleddertes Gärtnerhandbuch und brachte Maianthe das Lesen und Schreiben bei. So konnte das Mädchen den Namen von Tef früher buchstabieren als ihren eigenen. Und sie konnte »bittersüß«, »Stechwinde« und sogar »Zittergras« viel früher schreiben als den Namen ihres Vaters. Da er gar nicht bemerkte, dass sie überhaupt lesen und schreiben gelernt hatte, fühlte er sich dadurch auch nicht gekränkt.
    Tef konnte Maianthe nicht das Sticken oder angemessenes Benehmen beibringen. Doch er lehrte sie zu reiten, indem er sie auf das alte Pony ihres Bruders setzte, für das dieser schon vor vielen Jahren zu groß geworden war, und sie so lange herunterfallen ließ, bis sie gelernt hatte, darauf sitzen zu bleiben. Glücklicherweise bekam ihr Bruder nie mit, dass sie sein Pony benutzte. Außerdem lehrte Tef sie, den säuselnden Ruf eines zufriedenen Meisenhähers, das trällernde Gurren einer Taube und das freundliche, leise Zirpen eines Sperlings so gut nachzuahmen, dass sie oft den einen oder anderen Vogel anlocken konnte, damit er ihr Körner oder Krümel aus der Hand fraß.
    »Es ist gut, dass du die Katzen daran hindern kannst, die Vögel zu fressen«, sagte Maianthe einmal zu ihm mit ernster Stimme. »Aber macht dir das nichts aus?« Menschen, die zu einem Tiersprechen konnten, hinderten es, wie Maianthe wusste, nur ungern daran, seine natürlichen Triebe auszuleben.
    »Es macht mir nichts aus«, antwortete Tef und blickte lächelnd zu ihr hinunter. Er saß absolut regungslos da, um nicht den Purpurgimpel zu erschrecken, der auf Maianthes Finger hockte. »Die Katzen können auch Wühlmäuse und Kaninchen fangen. Das ist viel nützlicher, als Vögel zu fressen. Ich frage mich, ob du dich eines Tages dabei ertappen wirst, wie du mit einem der kleinen Vögel sprichst? Das wäre hübsch und bezaubernd.«
    Maianthe betrachtete den Gimpel auf ihrem Finger und lächelte. Doch sie entgegnete: »Das wäre nicht besonders nützlich. Nicht so, wie es für dich ist, mit Katzen zu reden.«
    Tef zuckte die Achseln und lächelte. »Du bist Fürst Beraods Tochter. Du brauchst dir keine Gedanken darum zu machen, wie du nützlich sein kannst. Deinem Vater gefiele es
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